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Aktuelles

„Urban Hacking“ an der „Haltestelle Fortschritt“ am Alten Messplatz

Für die südliche Platzhäflte des Alten Messplatzes ist eine neue Zwischennutzung namens „ALTER“ angetreten, dem Raum einen Nutzen zu geben. Unser Gastautor berichtet von der ersten Veranstaltung vor Ort.

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In einem „Pop-Up Store“ werden Zehntel-Quadratmeter verkauft, deren Preis sich am Quadratmeterpreis verschiedener deutscher Städte orientiert, „man kann sie sehr gut als Untersetzer benutzen“, erklärt die für das Projekt verantwortliche Studentin. An der Wand desselben Holzverhaus am Alten Messplatz sind Bilderrahmen mit Porträtfotos angebracht, die teilweise mit blauer Farbe übermalt sind. „Es sind Leute, die in steigenden Mietpreisen ertrinken“, wird dazu erläutert. Der Wasserstand orientiert sich ebenfalls am Stand der Mieten in verschiedenen Städten. Im Fall Mannheims, wo der Wasserstand noch verhältnismäßig tief liegt, befindet sich an Stelle des Porträts ein Spiegel. Der Betrachter kann selbst abschätzen, ob ihm das Wasser schon bis zum Hals reicht oder nicht. Eine dritte Variation derselben Idee findet sich auf dem Boden des Alten Messplatzes selbst, wo die Fläche, die man in verschiedenen Städten zum Preis von 10 Euro bewohnen kann, mit farbigem Klebestreifen markiert ist. Daneben zeigt eine Grafik die stufenweise Abnahme sozialen Wohnraums seit 1990 an.

Stadtplanung als Kommunikationsdesign

Alle diese Projekte wurden von Studierenden der Hochschule Mannheim im Fach Kommunikationsdesign, im Rahmen eines Workshops entwickelt, der sich „Urban Hacking“ nennt und von den Brüdern Johannes und Philip Brückner angeleitet wird. Für die Brückners geht es hier darum, mit gestalterischen Mitteln auf den öffentlichen Raum Einfluss zu nehmen und auf soziale Probleme aufmerksam zu machen. Der Workshop ist Pflichtprogramm für die Studierenden und ist eingebunden in das Festival „Haltestelle Fortschritt“, das die Brüder in Zusammenarbeit mit der Architekturfirma „Yalla Yalla – studio for change“ organisieren, und das vom 1. bis zum 13. Juli am Alten Messplatz stattfindet.

Das Projekt kommt somit aus dem Herzen der Mannheimer Start-Up-Szene, also einer Gruppe junger Unternehmen um das Kreativwirtschaftszentrum C-Hub, die in Mannheim zu den Profiteuren der Gentrifizierung gehört. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Stadtpolitik in Mannheim – und ganz besonders im Fall des Jungbusch – die Gentrifizierung aktiv modelliert hat, um den Stadtteil für die Kreativbranche zu erschließen, die seit zwei Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige in westlichen Großstädten angewachsen ist.

Mannheimer Modell: Vom „Problemviertel“ zum Problemviertel

Exemplarisch für das planvolle Vorgehen der Stadt Mannheim bei der Gentrifizierung des Jungbusch seit den frühen Nuller-Jahren sei der Artikel „Popkulturförderung in Mannheim“, des damaligen Beauftragten für Musik und Popkultur der Stadt, Sebastian Dresel genannt, welcher 2009 in einem wissenschaftlichen Sammelband zu Methoden der Kreativwirtschaft erschien (als PDF online abrufbar beim transcript-Verlag, S. 169 – 175, oder im Open-Acess-Portal JSTOR, Direktlink auf das Kapitel). Dort wird das „Mannheimer Modell“ beschrieben – eine offensive Bau- und Image-Kampagne der Stadt, die mit Hilfe des Standortfaktors Popkultur bemüht war, das damalige „Problemviertel“ Jungbusch zum Szeneviertel umzustrukturieren. Der Bau des C-Hub, sowie des Benachbarten Loft-Hauses Dock 29 können als krönender Abschluss dieser fast zwanzig Jahre andauernden Gentrifizierungskampagne angesehen werden.

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Was heißt es nun, wenn, wie im Fall der „Haltestelle Fortschritt“, Vertreter der Kreativbranche selbst Gentrifizierung zu thematisieren beginnen? Besonders überraschend ist diese Situation eigentlich nicht, da die Kreativbranche sich aus dem jungen, urbanen und kosmopolitischen Mittelstand rekrutiert, der politisch tendenziell links orientiert ist. Jedoch muss jede Aktivität, die von Vertretern dieser Branche in dieser Richtung ausgeht, daran gemessen werden, wie sie mit ihrer eigenen, vorsichtig ausgedrückt, ambivalenten Rolle, im erweiterten Kontext der Gentrifizierung umgeht.

8000 Euro Förderung, aber keine Einflussnahme

Wie sieht es da bei der „Haltestelle Fortschritt“ aus? Die Gebrüder Brückner beeilen sich, zu versichern, dass das Projekt ohne Profitinteresse durchgeführt wird und die Förderung der Stadt, die sich auf 8000 Euro beläuft, zwar dankbar angenommen wurde, jedoch keine inhaltliche Einflussnahme von Seiten der Stadt stattfand. Nichtsdestotrotz ziert die Flyer und Plakate der Veranstaltung eine auffällige Reihe von gleich drei Logos von stadteigenen Institutionen, sodass sich der Eindruck aufdrängt, die Stadtpolitik versuche hier durchaus erfolgreich, das Engagement gegen Gentrifizierung für sich zu vereinnahmen.

Der Workshop „Urban Hacking“ fiel vor diesem Hintergrund weder besonders positiv  noch negativ auf. Nach der Vorstellung der oben erwähnten Projekte in der Neckarstadt ging es hinüber in den Jungbusch, wo ein wenig eindrucksvolles Schild präsentiert wurde, das auf die Vermietung luxus-sanierter Wohnungen verwies – ohne kritischen Kommentar. Spannender war da die abschließende Aktion, bei der ein Teil der Studierenden in weißen Seuchenschutzanzügen die Gehsteige am Zugang zur Jungbuschstraße mit Absperrband versah und ein Plakat platzierte, das auf die Mietpreissteigerung verwies. Irrtümlich warnte der dazugehörige Flyer aber vor einem „vielleicht bald“ gentrifizierten Stadtteil – die relativierende Phrase ist hier gänzlich unangebracht und wäre im Fall der Neckarstadt passender gewesen. In die Reihe der „mutmaßlichen Erreger“ der Gentrifizierung müssten sich zudem fairer Weise, neben Immobilienspekulanten und Investoren, auch die Kommunikationsdesigner selbst einreihen.

Bleibt abzuwarten, was die kommenden Veranstaltungen der „Haltestelle Fortschritt“ noch zu bieten haben. Am Montag,  9. Juli wird der Film „Mietrebellen“ über Mieterkämpfe in Berlin in Anwesenheit des Regisseurs gezeigt. Besonders interessant aber dürfte das Symposium am 11. Juli werden, bei dem sich Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz selbst die Ehre gibt.

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