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Hunderte demonstrieren gegen rassistische Stadtbild-Aussage

Hunderte protestierten auf dem Marktplatz gegen die populistischen Aussagen des Bundeskanzlers | Foto: Alexander Kästel

Der Protest in Mannheim richtete sich gegen Aussagen von Friedrich Merz und thematisierte Ausgrenzung und feministische Anliegen.

Rund 600 Menschen haben sich am Sonntagnachmittag, 26. Oktober, auf dem Mannheimer Marktplatz versammelt. Anlass war eine umstrittene Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der Migration als „Problem im Stadtbild“ bezeichnet hatte. Auf Nachfrage ergänzte er: „Fragen Sie mal Ihre Töchter – die wissen, was gemeint ist.“ Die Formulierungen wurden bundesweit als rassistisch und sexistisch kritisiert.

Die Kundgebung in Mannheim stand unter dem Motto „Wir sind die Töchter – Wir sind das Stadtbild“. Getragen wurde sie von einem breiten Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Initiativen, Parteien und feministischen Gruppen. Mitorganisiert hatten unter anderem Bündnis 90/Die Grünen Mannheim, SPD Mannheim, Die Linke Mannheim, Jusos, Grüne Jugend, Seebrücke, Fridays for Future, DGB-Jugend sowie das Queere Zentrum. Zahlreiche Einzelpersonen und kleinere Kollektive schlossen sich an.

Mehr als zehn Rednerinnen gegen politische Instrumentalisierung

Mehr als zehn Rednerinnen setzten sich in ihren Beiträgen mit der politischen Instrumentalisierung feministischer Anliegen auseinander. Immer wieder wurde kritisiert, dass das Thema Sicherheit von Frauen oft nur dann öffentlich aufgegriffen werde, wenn es sich gegen migrantische Männer richten lasse. Die SPD-Stadträtin Annalena Wirth erklärte im Gemeinderat sei Sicherheit für Frauen „nie Thema, außer wir bringen es selbst auf die Tagesordnung. Und jetzt ist es auf einmal das Thema, weil es irgendwie nützt, um in der Migrationspolitik zwei Gruppen gegeneinander auszuspielen.“

Isabel Cademartori, Bundestagsabgeordnete der SPD, sagte: „Man kann Menschen nicht ansehen, ob sie ein Problem für die Gesellschaft sind.“ Tamara Beckh, Kreissprecherin der Grünen, betonte, man lasse nicht zu, dass der Feminismus für rassistische Erzählungen vereinnahmt werde.

Klare Worte der Migrationsbeiratsvorsitzenden

„Wir sind hier versammelt, weil wir die Töchter sind, von denen Merz eigentlich spricht“, sagte Andrea Chagas López, Vorsitzende des Mannheimer Migrationsbeirats, im Interview mit Kommunalinfo Mannheim. „Wir sind natürlich instrumentalisiert worden, als Frauen – Mädchen insbesondere –, aber wir sind eigentlich nicht die Personen, die er gemeint hat.“

Andrea Chagas López, Vorsitzende des Mannheimer Migrationsbeirats | Foto: Alexander Kästel

Sie kritisierte, dass rassistische Sprache in der Politik zwar offiziell nicht mehr akzeptiert sei, jedoch weiterhin über Bilder, Metaphern und Andeutungen transportiert werde. Als Folge davon würden strukturelle Probleme auf Einzelpersonen abgewälzt, etwa in Form der Zuschreibung kultureller Defizite.

„Wenn die Integrationspolitik die Arbeit gemacht hätte, die wir gebraucht hätten, nämlich tatsächlich alle Menschen zu integrieren in der Gesellschaft, dass wir Teil der Gesellschaft sind, hätten wir dieses Problem der Rassifizierung nicht.“ Die Vorstellung eines homogenen Stadtbilds sei eine gefährliche Illusion, die es nie gegeben habe – aber von konservativen wie rechten Kräften zur Angstmache genutzt werde.

Unter den Rednerinnen war auch Zahra Alibabanezhad Salem, die von einer rechten Koalition abgewählte, frühere Vorsitzende des Mannheimer Migrationsbeirats. Mittlerweile ist sie für den Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg (LAKA BW) aktiv.

Auch wenn sie mit Hilfe der Merz-Partei aus dem Migrationsbeirat gecancelt wurde, hat Zahra Alibabanezhad Salem ihre Stimme nicht verloren | Foto: Alexander Kästel

Erfahrungen, Stimmen, Stadtbilder

Mehrere Personen berichteten auf der Kundgebung über ihre persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung. „Ich bin eine Hijabi, habe eine braune Haut, ich studiere Ingenieurwissenschaft und ich bin eine Frau“, sagte eine Teilnehmerin im Gespräch mit dem Mannheimer Morgen. „Manchmal kann ich nicht unterscheiden, wofür ich diskriminiert werde.“

„Ich bin ein Problem für das Stadtbild, das möchte ich nicht mehr sein“, sagte ein 16-Jähriger dem Mannheimer Morgen, und seine ältere Schwester ergänzte: „Wir sind in Mannheim geboren, aber unsere Eltern kommen aus Pakistan.“

Die Rednerinnen kamen aus verschiedenen Organisationen und Kontexten, darunter der Internationale Frauentreff, der Migrationsbeirat Mannheim, LAKA BW und queerfeministische Bündnisse. Auch die Neckarstädter Grünen-Bezirksbeirätin Carmen Fontagnier war unter den Teilnehmenden.

Viele strukturelle Fragen wurden bei der Protestversammlung angesprochen: fehlender Schutz bei häuslicher Gewalt, Wohnungsnot, ein bundesweit uneinheitliches System für Gewaltschutz. Mehrfach wurde betont, dass diese Themen durch rassistische Debatten verzerrt würden. „Ein Bundeskanzler sollte für alle Bürger*innen sprechen und nicht einzelne Bevölkerungsgruppen diffamieren und als Problem im Stadtbild darstellen“, hieß es in einem Redebeitrag.

Musik, Tanz und politische Parolen

Zum Abschluss der Versammlung trat ein Singer-Songwriter mit einem eigens geschriebenen Protestlied auf. Darin wurden politische Parolen mit satirischem Tonfall verbunden. Mit der Zeile „Deutschlands Problem heißt Rassismus und nicht Migration“ setzte der Song einen klaren Akzent in der Proteststimmung. Anschließend sorgte ein Zumba-Trainer für eine gemeinsame Tanzaktion, die trotz einsetzendem Regen viele Teilnehmende auf dem Platz hielt. Plakate mit Aufschriften wie „Ich bin Tochter. Ich bin Stadtbild.“ prägten das Bild.

Veranstalterinnen und Rednerinnen der „Wir sind die Töchter“-Kundgebung | Foto: Alexander Kästel

Während zu Beginn der Versammlung sich etwa 250 Menschen auf dem Marktplatz versammelt hatten, wuchs die Menge im Verlauf des Nachmittags noch auf bis zu 600 Personen an.

Auch in anderen Städten hatte es am Wochenende ähnliche Kundgebungen gegeben, unter anderem in Berlin, Leipzig, Frankfurt und Essen. In Mannheim wurde deutlich, dass es den Teilnehmenden nicht allein um eine Reaktion auf eine politische Aussage ging – sondern um die Forderung, dass Sprache, Teilhabe und Sicherheit nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

Quellen: Kommunalinfo Mannheim, Mannheimer Morgen, Reporter vor Ort

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