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Koalition rechts der Mitte sägt Migrationsbeiratsvorsitzende ab

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Zahra Alibabanezhad Salem | Foto: Andreas Henn

Eine knappe Mehrheit im Mannheimer Gemeinderat verhindert die Wiederberufung von Zahra Alibabanezhad Salem. Der Vorgang wirft Fragen auf.

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Mannheim. Eine knappe Mehrheit des Gemeinderats hat gegen die erneute Berufung der Migrationsbeiratsvorsitzenden Zahra Alibabanezhad Salem gestimmt. Eine wahrscheinlich aus CDU, AfD, FDP und Mannheimer Liste (ML) bestehende Koalition stimmte mit 23 zu 22 Stimmen gegen sie – weil die Abstimmung in geheimer Wahl stattfand, lässt sich das jedoch nicht sicher sagen. Der ganze Vorgang ist ungewöhnlich und exemplarisch für die Annäherungsversuche der bürgerlich-rechten Parteien an die AfD.

Eine unbequeme Migrationsbeirätin

Zahra Alibabanezhad Salem war die Vorsitzende des alten Migrationsbeirats und in ihrer Eigenschaft als kritische Begleiterin des Gemeinderats äußerst engagiert. Sie ist zudem im Vorstand des Landesverbands der Kommunalen Migrantenvertretungen (LAKA) aktiv.

Als scharfe Rassismuskritikerin und Unterstützerin für Betroffene von Diskriminierung hat sie sich in Mannheim einen Namen gemacht. Emotional und laut, aber immer sachlich fundiert, waren ihre Reden. Den Gemeinderät_innen der rechten Seite hat es offenbar nicht gefallen, von ihr den Spiegel vorgehalten zu bekommen.

Abweichung vom üblichen Berufungsverfahren

Nun hat eben dieser Teil des Gemeinderats dafür gesorgt, dass sie keine weitere Amtszeit im Migrationsbeirat antreten darf. „Vermutlich“ – muss man dazu sagen, denn die Abstimmung war geheim.

Die Amtszeit des Migrationsbeirats ist an den Gemeinderat angelehnt. Nach der Neuwahl im Sommer 2024 stand demnach die Einberufung eines neuen Migrationsbeirats an.

Bewerben können sich alle Mannheimer_innen mit Migrationsbiografie. Dieses Mal waren es über 50 Personen.

Die Berufungskommission für den Migrationsbeirat besteht zu gleichen Teilen aus Vertreter_innen der Fraktionen im Gemeinderat, des MigrationsFORUMs sowie des alten Migrationsbeirats. Sie trifft auf Grundlage der schriftlichen Bewerbungen und einer Diskussionsveranstaltung eine Auswahl und erstellt eine Vorschlagsliste mit 20 Personen plus Ersatzkandidat_innen.

Zu beachten sei, dass der Migrationsbeirat „mit seiner fachlichen Expertise möglichst breit abgedeckt ist, geschlechterparitätisch besetzt ist und die Vielfalt der Mannheimer Bevölkerung hinsichtlich kultureller, religiöser und ethnischer Zugehörigkeiten bestmöglich widerspiegelt“ (Stadt Mannheim). Bislang war es üblich, dass der Gemeinderat der Empfehlung der Berufungskommission folgte, ähnlich wie auch beim Jugendbeirat oder bei den Bezirksbeiräten.

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Der Mannheimer Gemeinderat (Archivbild) | Foto: KIM

Nicht konsensfähige Liste

Laut Zeitplan hätte der Gemeinderat den Migrationsbeirat bereits Ende letzten Jahres neu berufen sollen. Doch offenbar gab es keine Einigkeit. Vor allem Volker Beisel (FDP) hätte sich vehement gegen die erneute Berufung von Zahra Alibabanezhad Salem ausgesprochen. Aber auch CDU und AfD sollen sich ablehnend geäußert haben, ist aus der nicht-öffentlichen Sitzung zu hören.

Die Vorschlagsliste der Kommission war demnach nicht konsensfähig. Ob sie im Gemeinderat eine Mehrheit gefunden hätte, bleibt unklar. Der Oberbürgermeister hatte in einer ungewöhnlichen Weise, vorbei an der Berufungskommission, per Beschluss im Hauptausschuss das Verfahren geändert.

Er ließ die Liste nicht „en bloc“, also wie üblich als Ganzes, abstimmen. Stattdessen wurde über jede_n einzelne_n Kandidat_in für den Migrationsbeirat individuell und in geheimer Wahl abgestimmt.

Geheime Personenwahl als taktisches Manöver?

Warum in geheimer Wahl? Zwar sind geheime Abstimmungen im Gemeinderat auf Antrag möglich, sie sind jedoch selten und nicht unumstritten.

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Dass über einzelne Personen individuell abgestimmt wird, ist nicht nur unüblich, sondern auch fragwürdig. Würde das zum Beispiel auch bei Bezirksbeiräten gemacht werden? Hier muss sich der OB fragen lassen, ob er das Verfahren geändert hat, um eine bei den Rechten unbeliebte, beim Gremium aber hoch geschätzte Vorsitzende gezielt abwählen zu können.

Widerspruch bleibt wirkungslos

Widerspruch gab es von den GRÜNEN in Form eines Geschäftsordnungsantrags, der aber als unzulässig abgewiesen wurde, sowie vom Jugendbeirat, der sein Rederecht nutzte, um die Entmachtung der Berufungskommission zu kritisieren.

Ein Teilnehmer der Abstimmung berichtete von Gesprächen in der Schlange zur Wahlurne, die darauf schließen lassen, dass Gemeinderät_innen bei den meisten Kandidierenden für den Migrationsbeirat überhaupt nicht wussten, für wen sie da stimmen sollen – verständlich, denn in der Berufungskommission war nur jeweils eine Person als Fraktionsvertreter_in beteiligt.

Zur Rolle des OB

Der Oberbürgermeister vertritt im Gemeinderat die Interessen der Verwaltung, nicht die seiner Partei. Eine Ablehnung der Berufungsliste durch ihn hätte einen Eklat ausgelöst.

Aufgrund der geheimen Abstimmung ist es nicht möglich, das Abstimmungsverhalten Einzelner zu erfahren. Bei der Wahl von Zahra Alibabanezhad Salem ging es extrem knapp aus: 23 gegen und 22 Stimmen für sie. Der Oberbürgermeister war hier wieder einmal das Zünglein an der Waage. Wer wie abgestimmt hat, bleibt allerdings ein Geheimnis.

Besonders peinlich waren Spechts stammelnde Worte des Dankes an die ehemalige Migrationsbeiratsvorsitzende, als diese nach ihrer Abwahl entnervt den Saal verließ. Das war nicht nur unglaubwürdig, sondern auch unangemessen.

Insgesamt zwei Personen fallen durch

Noch eine weitere Person ist aufgrund der Personenwahl aus dem Migrationsbeirat ausgeschieden. Khalil Khalil, der im bisherigen Migrationsbeirat ebenfalls großes Engagement gezeigt hatte, wurde von einer noch deutlicheren Mehrheit abgewählt. Ihm dürfte sein Engagement für die konservativ-islamische Omar-al-Faruq-Moschee zum Verhängnis geworden sein. Ein geplanter Umzug der Moschee von der Neckarstadt nach Käfertal hatte für Diskussionen gesorgt.

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Die Dezernentenbank mit OB Christian Specht in der Mitte (Archivbild) | Foto: KIM

Die politische Dimension des Vorgangs

Die Kooperation der rechten Mehrheit im Gemeinderat hat eine weitreichende inhaltliche Entscheidung beim Thema Migration getroffen. Eine laute, engagierte und kritische Fürsprecherin der Migrant_innen in Mannheim wurde mundtot gemacht.

Anders als im Bundestag (namentliche Abstimmung) ist die Kooperation auf kommunaler Ebene unauffälliger verlaufen. Durch die geheime Wahl kann niemand persönlich in die Verantwortung genommen werden, ja nicht einmal kann die Kooperation von CDU, AfD, FDP und ML bewiesen werden.

Natürlich profitieren die Rechten, von bürgerlich-liberal über konservativ bis faschistisch, allesamt davon, dass eine Rassismuskritikerin ihre exponierte Position verliert – und damit Redezeit, Aufmerksamkeit und Einfluss.

Kritik von GRÜNEN, SPD und LTK

Die Fraktion DIE GRÜNEN/Die PARTEI kritisiert das geänderte Berufungsverfahren scharf, vorrangig auf einer formalen Ebene. Auch die Fraktion LTK sowie die SPD äußerten scharfe Kritik an der Entscheidung des Gemeinderats.

Zahra Alibabanezhad Salem: „Migrationsbeirat soll sich nicht einschüchtern lassen“

Zwei Tage nach der Gemeinderatssitzung erklärte Zahra Alibabanezhad Salem, dass sie weiter eine kritische Stimme für Menschen mit Migrationsgeschichte in Mannheim bleiben will. Sie wünscht sich, dass auch der Migrationsbeirat sich nicht einschüchtern lässt.


Dieser Artikel erschien zuerst bei Kommunalinfo Mannheim. Wir haben kleinere redaktionelle Anpassungen vorgenommen.