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Ein Plädoyer für die Aufnahme von jugendlichen Flüchtlingen auf Konversionsflächen

Offener Brief des Jugendkulturzentrums FORUM:

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spenden dauerauftrag 900x421 1 - Ein Plädoyer für die Aufnahme von jugendlichen Flüchtlingen auf Konversionsflächen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Kurz,
sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte von SPD, CDU, Grüne, Mannheimer Liste, Die Linke, FDP und MfM,

wir, das Team des FORUM und die mitunterzeichnenden Organisationen, wenden uns mit einem Offenen Brief an Sie, weil wir die Stimme der Jugendkultur im Diskurs rund um Flüchtlinge und ihre Unterbringung in Deutschland hörbar machen wollen. Wir glauben, dass es sich bei dieser Stimme um eine selbstbewusste und lebensbejahende Stimme handelt. Um eine Stimme, die einen unverstellten Blick auf pragmatische Lösungen einer umständlichen Problemanbetung vorzieht. Eine Stimme, die ausspricht, was in einer von politischem Kalkül und irrationaler Angst geprägten Gesellschaft unaussprechlich geworden ist.

Die Stimme sagt: Die Art und Weise, wie ein kaum fassbares Lebensereignis wie Flucht als Gegenstand von Quoten und Verteilungsängsten behandelt und wie Asyl im Kontext einer fiktiven Platznot mit unwürdigen Notunterkünften gelöst wird, ist unerträglich.

Die Stimme sagt außerdem: Vielleicht ist alles gar nicht so kompliziert und hoffnungslos.

Das Mittel des Offenen Briefes ist in diesem Fall keine öffentliche Kritik an Ihnen, den politischen Protagonist*innen dieser Stadt. Wir wissen, dass Mannheim von einem humanistischen Grundkonsens geprägt ist, und wir schätzen dieses Umfeld sehr. Wir wollen hier eine, wie wir finden, gute Idee teilen, sie begründen und dieser Idee eine möglichst unmittelbare Publizität geben. Dass wir überhaupt Ideen rund um diese Thematik wälzen, finden wir ob unserer Identität als kulturelle und politische Bildungsstätte selbstverständlich. Dass wir diesen Ideen Ausdruck verleihen, sind wir den tausenden jungen Menschen schuldig, die sich bei uns engagieren.

Als Ergebnis unserer Überlegungen und Erfahrungen stellen wir eine einfache Frage in den Raum:

Warum öffnen wir die Soldat*innenunterkünfte und Versorgungsgebäude auf Konversionsflächen nicht stärker für jugendliche Flüchtlinge?
Wie kaum eine andere Institution aus dem Jugendbereich haben wir uns mit Konversion und Fragen der Stadtentwicklung befasst. Wir haben vor Planungsgruppen gesprochen. Wir haben Aktionen rund um Stadtgestaltung initiiert. Wir haben jugendlichen Positionen Ausdruck verliehen. Wir haben eine temporäre Außenstelle auf Turley bespielt. Und wir waren dabei, als die erste Gruppe aus Mannheim Spinelli besichtigen durfte. Es war ein einprägsames Erlebnis.

Wir haben folgendes gesehen:

  • Familientaugliche Wohneinheiten mit intakten Sanitäranlagen
  • Beziehbare Bausubstanz, die teilweise sogar frisch renoviert war
  • Kücheninfrastruktur, die noch kurz zuvor hunderte Menschen versorgt hat
  • Verwaltungsräumlichkeiten, die auch zivil nutzbar sind
  • Nebengebäude, die jeder baupolizeilichen Überprüfung Genüge tun würden

Vor allem haben wir aber eines gesehen:

Viel Platz, um Menschen einen menschenwürdigen Start in Deutschland zu ermöglichen. Und wir haben gehört, als man uns gesagt hat: Seid laut und bringt euch ein!

Das tun wir hiermit:

Warum nutzen wir diesen Raum nicht, um zwischen die vielbeschworenen „Leuchttürme“ dieser Stadt auch einen Leuchtturm der unaufgeregten Menschlichkeit hochzuziehen?

Als junge Stimme wollen wir einen Ort, wo man Traumata nicht mit neuen Traumata begegnet. Spinelli und andere Konversionsflächen können von einem Tag auf den anderen so ein Ort sein. Gerne auch temporär. Ob in diesem Fall die Stadt oder die BIMA oder irgendein Investor am Zug ist, ist eigentlich egal. Hauptsache man formuliert den politischen Willen und kommt ins Handeln.

Es gibt da nämlich eine unbequeme Wahrheit: Das, was wir derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung als beispiellose „Flüchtlingswelle“ um die Ohren geschleudert bekommen, ist lediglich die Speerspitze. Das Gros der Flüchtenden ist derzeit auf dem Weg und wird es noch viele Monate bleiben. Flucht funktioniert nicht so, dass man sich in ein Flugzeug setzt und von einem Tag auf den anderen in eine neue Welt eintaucht. Flucht ist eine Odyssee. Niemand flüchtet freiwillig. Äußere Umstände zwingen Menschen dazu, ihre Familien zu verlassen und das bisherige Leben aufzugeben. Auch wenn Rechtspopulisten versuchen, ein anderes Bild zu zeichnen.
Die jungen Menschen, die heute vor dem IS oder den Taliban oder irgendeinem anderen menschenverachtenden Regime flüchten, schlagen sich wahrscheinlich gerade in Richtung Europa durch. Wenn sie viel Glück hatten, sind sie bereits an irgendeiner europäischen Küste gelandet, wo sie über mehrere Monate versuchen werden, irgendwie an Geld zu kommen, um sich in Europas „Kern“ schleppen zu lassen. Wir sehen diese Jugendlichen frühestens in einem Jahr. Wir wissen das, weil wir schon jetzt immer wieder versuchen, junge Flüchtlinge aus den Kriegen in Afghanistan und Libyen und den Massakern von Boko Haram und den Al-Shabaab-Milizen mit unserem kulturellen Angebot abzuholen.

Wenn wir jetzt schon Angst vor Flüchtlingen haben, müssten wir dann, wenn sich das wahre Ausmaß der derzeitigen weltpolitischen Katastrophe manifestiert, in Hysterie ausbrechen. Wir sind uns sicher, dass Mannheim nicht so tickt.

Wäre es nicht schön, wenn die Flüchtenden an einen Ort kommen, der für uns im Moment sterile „Konversionsfläche“ ist, aber für sie echter Lebensraum sein könnte? Welchen ideellen Wert und Identifikationsfaktor hätte ein Kulturdorf, ein Grünzug, ein neuer Stadtteil, ein Naturschutzgebiet oder eine Bundesgartenschau, wenn all das auf Grund und Boden entsteht, der für Menschen und Menschlichkeit offen war? Und all das hätte sogar einen rationalen Sinn: Bewohnter Raum schützt vor Verfall von Bausubstanz. Damit wäre auch den wirtschaftlichen Argumentarien Genüge getan.
Eines ist auch klar: So eine zentrale Unterbringung unter menschenwürdigen Bedingungen kann nur eine Notlösung im Sinne einer großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen und im Sinne einer Emanzipation von kurzfristigem Quotendenken sein. Denn eine zentrale Unterbringung bedeutet auch eine stärkere Kontrolle der Flüchtlinge. Das heißt: Das Abgeben von Ausweispapieren beim Betreten der Unterkünfte oder die Anmeldung von Besuch bereits Tage vorher, gehören zum Alltag einer Flüchtlingsunterkunft. Auch die isolierte Unterbringung fernab belebter Stadtteile gehört zu den Problemen, die wir nicht verschweigen wollen. Daher werden langfristig Strategien notwendig sein, die sich dezentral in allen Teilen der Stadt und damit auch in allen Teilen der Gesellschaft entfalten. Wir hoffen, dass unser Vorstoß auf fruchtbaren Boden fällt. In der Hoffnung, dass wir etwas bewegen können, verbleiben wir mit herzlichen Grüßen. Für Fragen und Austausch stehen wir jederzeit zur Verfügung.

Fabian Burstein
Für das Team des Jugendkulturzentrum FORUM

Unterstützer*innen:
JUZ Friedrich Dürr Mannheim
MediNetz Rhein-Neckar

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