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Aktuelles

Polizeihunde, ALTER?

Nach Beschwerden über Ruhestörung räumte die Polizei die ALTER-Abschiedsfeier. Der Einsatz von Polizeihunden sorgt für Empörung und wird als unverhältnismäßig kritisiert.

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Wie die Polizei auf Medienanfragen mitteilte, kam es im Laufe des Abends des 30. Septembers zu mehreren Beschwerden wegen Ruhestörung im Bereich des Alten Messplatzes. Der Auftritt der letzten Band musste daraufhin abgesagt werden. Auch die Musik wurde – vermutlich gegen 23 Uhr – abgestellt. Einem Bericht zufolge wurden später noch zwei Lieder über die Musikanlage abgespielt.

Gegen 1 Uhr rückte die Polizei zum mittlerweile vierten Mal an, diesmal mit mehreren Streifenwagenbesatzungen und Polizeihunden mit Maulkorb. Dies sei bei den anwesenden Feiernden „teilweise auf Unverständnis“ gestoßen. Vereinzelt sollen Platzverweise ausgesprochen worden sein. Im Rahmen der Platzverweise soll es zu Beleidigungen gegen die Beamten gekommen sein. Eine Person wurde in Gewahrsam genommen, weil sie sich laut Polizei weigerte, das Gelände zu verlassen.

Polizeieinsatz löst Empörung aus

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War der Einsatz mit Polizeihunden verhältnismäßig? | Foto: zg

Obwohl sich die Aussagen der Augenzeugen in weiten Teilen mit denen der Polizei decken, überwiegen die zahlreichen empörten Berichte über das Vorgehen der Polizei an diesem Abend. Es wurde überwiegend als unverhältnismäßig empfunden. Die Situation auf dem Platz sei bis zum Eintreffen der Polizei sehr friedlich gewesen, weder politisch bedenklich noch gewalttätig. Der Altersdurchschnitt der verbliebenen 50 bis 100 Personen sei relativ hoch gewesen.

Auch deshalb fällt die Kritik am Polizeieinsatz trotz teilweise heftiger Missbilligung vergleichsweise differenziert aus. Übereinstimmend wird berichtet, dass sich die meisten Beamten angemessen verhalten hätten. So habe zum Beispiel der Einsatzleiter bereitwillig Rede und Antwort gestanden, nur die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes sei auch von ihm nicht beantwortet worden. Nur zwei Beamt*innen wurden als besonders aggressiv beschrieben, während die anderen sich ordnungsgemäß verhalten hätten.

Fragwürdige Festnahme

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Zwei Beamt*innen fielen Augenzeugenberichten zufolge sehr aus der Rolle | Foto: zg

Der angegebene Grund für die einzige Festnahme des Abends wird durch Zeugenaussagen deutlich in Frage gestellt. Der Festgenommene habe keinen Widerstand geleistet. Er habe lediglich nach einer rechtlichen Begründung gefragt. Die Festnahme wurde von Außenstehenden als „gewaltsam“ bezeichnet. Die Person wurde zu Boden gebracht und auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt. Es wurde vermutet, dass ein Exempel statuiert werden sollte.

Hundeführer*innen in der Kritik

In den Berichten wird besonders eine Polizistin hervorgehoben, die sich aggressiv und unprofessionell verhalten habe. So wurden uns unabhängig voneinander beleidigende Äußerungen der Beamtin wie „Ich f*** dich gleich“, „Halt die F***** oder ich trete dich“, „F*** you“ oder „Wenn du nicht sofort gehst, schlag ich dir in die F*****“ geschildert. Unklar ist, ob alle Äußerung von dieser einen Beamtin stammen. Das Polizeipräsidium verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Polizeibeamt*innen “in deeskalierender Gesprächsführung geschult” seien, aber „im Einzelfall auch direktive Anordnungen […] harsch wirken können.“ Beschwerden über den Einsatz lagen zum Zeitpunkt der Auskunft nicht vor.

Nicht nur den anwesenden Personen, sondern auch den beiden Polizeihunden gegenüber, wurde der Umgang von Augenzeugen als „schockierend“ beschrieben. Entgegen der Aussagen der Polizei wurden die Hunde übereinstimmenden Berichten zufolge direkt nach dem Ausstieg scharf gemacht. Eine „tumultartige Situation“ lag nicht vor und die Lage wurde allgemein als friedlich und ruhig beschrieben. Die Tiere wurden förmlich zum Anspringen der anwesenden Personen gezwungen. Die Hunde wurden kurz gehalten und schlagartig losgelassen. Von einer Androhung dieses „Einsatzes des Zwangsmittels“ Hund wurde uns nicht berichtet.

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Fragen und Antworten zum Polizeihundeinsatz:
  • Wie wird die Entscheidung getroffen, Polizeihunde einzusetzen?
    „Der Einsatz von Polizeihunden durch die Polizeihundeführerstaffel bei größeren Lagen, erfolgt nach Absprache mit dem Polizeiführer vor Ort. Ist eine unmittelbare Gefahr für andere Beamtinnen und Beamte oder Dritte erkennbar, erfolgt der Einsatz auch selbständig. Der Einsatz des Polizeihundes erfolgt gemäß der rechtlichen Voraussetzungen.“
  • Was war an diesem Abend ausschlaggebend für diese Entscheidung?
    „Die Anordnung für den Einsatz des Polizeihundes erfolgte unter der Vorgabe des Maulkorbes. Dem Polizeiführer vor Ort erschien dieses Zwangsmittel verhältnismäßig, um den polizeilichen Zweck, die die Durchsetzung der Platzverweise, zu erfüllen. Alternative Maßnahmen hatten zuvor lediglich zu Uneinsichtigkeit und Nichtbefolgen geführt.“
  • Ist es üblich, dass die Hunde direkt nach dem Ausstieg aggressiv gemacht werden?
    „Die Hunde reagieren selbständig auf verschiedene Situationen. Z.B. werden sie bei tumultartigen Lagen entsprechend reagieren, da sie notfalls auch selbständig einen Angriff auf den Polizeihundeführer abwehren sollten. Dennoch bleiben die Tiere steuerbar, was sie jedes Jahr im Rahmen einer Prüfung unter Beweis stellen müssen. Wenn das gezeigte Verhalten richtig und zielführend ist, kann es durchaus vorkommen, dass –gerade junge, unerfahrenere Hunde- eine motivierende Unterstützung des Hundeführers bekommen.“
  • Ist es üblich, dass man die Polizeihunde friedliche Menschen anspringen lässt?
    „Der Einsatz des Polizeihundes ist an gesetzliche Regularien gebunden. Üblicherweise wird der Einsatz eines Zwangsmittels, zu denen auch der Polizeihund gehört, vorher angedroht. Oftmals kommt es aber auch gerade in solchen Situationen vor, dass Passanten unbedacht und extrem nah an einem Hund vorbeilaufen, obwohl sich dieser erkennbar in einer Reizlage befindet.“

(Aus einer Anfrage an das Polizeipräsidium Mannheim)

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Besonders die Hundestaffel steht in der Kritik der Betroffenen | Foto: zg

Fragen zur Verhältnismäßigkeit

Fragen wirft auch der Umgang mit einem Filmteam vor Ort auf, das an diesem Abend Aufnahmen für einen Dokumentarfilm über ALTER machte. Allein aufgrund der professionellen Aufnahmetechnik waren die Dokumentarfilmer*innen gut von bloßen Schaulustigen mit Smartphones zu unterscheiden. Die Tontechnik des Teams wurde im Zuge des Polizeieinsatzes beschlagnahmt und erst später zurückgegeben.

Abweichend von der Darstellung der Polizei berichtete mindestens eine Person auch von einem Hämatom am Oberarm, das durch den starken Griff eines Beamten verursacht worden sei.

Zwei unabhängige Aussagen warfen die Frage auf, ob die gemeldeten Ruhestörungen an diesem Abend nicht auch eine andere Ursache haben könnten. Zeitgleich fand nämlich in der Alten Feuerwache die Himbeerparty mit einem abgesperrten Raucheraußenbereich statt. Dort sei es zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes deutlich lauter gewesen – andere hätten von der Party auf der anderen Straßenseite nichts mitbekommen. Der Polizei lagen an diesem Abend auch keine diesbezüglichen Beschwerden vor. Inwiefern die sich beschwerenden Anwohner*innen die Quelle des Lärms eindeutig lokalisieren können, bleibt fraglich.

Ein einzelner Zeuge beschrieb den Einsatz als „sehr martialisch“, empfand ihn aber nicht als unverhältnismäßig.

Ein Vorstandsmitglied des Trägervereins des ALTER hat sich auf unsere offizielle Anfrage hin nicht inhaltlich geäußert.

Angesichts der aktuellen Stimmung nach dem tödlichen Polizeieinsatz auf dem Marktplatz oder auch den mutmaßlichen Übergriffen auf Klimaaktivist*innen erscheint es nicht besonders förderlich, friedlich zusammensitzende Menschen derart aggressiv zu räumen. Ein milderes Mittel wäre bei einem solchen Publikum sicher möglich gewesen. Dem Ansehen der Polizei hat der Einsatz eher geschadet.

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