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Stadtentwicklung

Image-Pflege statt sozialer Lösungen

Stadtentwicklung per Wirtschaftsförderung? Unser Autor wirft einen kritischen Blick auf die städtische Förderung der Kreativbranche und Aufwertungsprozesse in der Neckarstadt-West.

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In Kreisen der Mannheimer Stadtpolitik scheint sich die, auf den US-Ökonomen und Städteforscher Richard Florida zurückgehende Position großer Beliebtheit zu erfreuen, dass man mit Hilfe der Kreativbranche drängende soziale Probleme lösen könne. Gilt ein Viertel als problematisch und die als Kriminalitätsrate hoch, baut man erst mal ein Kreativwirtschaftszentrum und hofft darauf, dass durch den anschließenden Austausch der Bevölkerung auch die sozialen Probleme verschwinden und die viel beschworene Lebensqualität steigt. Erste Beispiele für diese Strategie der Stadtpolitik waren Popakademie und Musikpark im Jungbusch, zu welchen sich 2015 das C-Hub gesellte. Konrad Hummel, Berater der städtischen Projektentwicklungsgesellschaft (MWSP), brachte die Strategie der Stadtpolitik letztes Jahr in einem in einem Interview mit dem SWR folgendermaßen auf den Punkt:

„Es ist so, dass der Jungbusch eine sehr langfristige Planung hat, die noch aus dem Mannheimer Stadtjubiläum 2007 stammt, als die Stadt hoffte, dort eine Kulturmeile und ein Hafenviertel zu entwickeln und aus dem völlig heruntergekommenen Jungbusch, der etwa zwischen 2005 und 2007 DAS Rotlicht-Kriminalitäts-Drogenviertel der Stadt war, etwas Kreatives zu machen. Da ist viel gelungen.“ (Quelle: SWR)

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Eine der Baumscheiben, die schon ganz lange bepflanzt werden | Foto: Quartierpaten Neckarstadt

In einem, wie man annehmen muss, auch überregional viel beachteten Gastbeitrag für die Wochenzeitung Die Zeit zum Thema Neckarstadt-West, in welchem er als engagierter Beobachter auftritt und nicht als der aktive Gestalter von Stadtpolitik, der er ist, zeichnet Hummel ein überaus düsteres Bild vom Stadtteil. Nur ein Punkt entlockt ihm eine freudige Bemerkung: „Immerhin hat es zuletzt einige Kreative hierher gezogen, und mit ihnen kamen alternative Cafés und Kulturkioske, Vintageläden und sogar ein Eckchen, an dem jemand ein paar Pflanzen gesetzt hat.”

Er hätte hinzufügen müssen, dass – genau wie im Fall des Jungbusch – die gesteigerte Präsenz der Kreativbranche im Viertel maßgeblich von der Stadt gefördert wurde, wiederum mit dem Ziel ein angebliches „Problemviertel“ zu befrieden, und gleichzeitig die für das Image der Stadt insgesamt so wichtige Kreativwirtschaft weiter zu stärken.

Schon 2012 wurde in der Mittelstraße das Kreativwirschaftszentrum „Altes Volksbad Creative Buisness“ mit Geldern der EU, des Landes, sowie der Stadt Mannheim selbst gegründet. Zu dieser Zeit war es als Zentrum der Kreativbranche noch weitgehend isoliert in der Neckarstadt-West. Mittlerweile hat sich aber die Quartierslandschaft zwischen Altem Messplatz und Neumarkt, wie Hummel richtig bemerkt, mit neuen Möglichkeiten zum Shopping, Co-Working und Gastronomie gefüllt, die eben vor allem ein Publikum aus dem mittelständischen und kreativen Milieu anziehen.

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Blick auf die Neckarstadt aus dem Marchivum | Foto: M. Schülke

Alter Messplatz – Neumarkt – Marchivum

Der nordwestliche Teil der Neckarstadt, in dem mit der Lupinenstraße das Rotlichtmilieu so stark verwurzelt ist, dass eine Aufwertung in nächster Zukunft – wenn nicht unmöglich – so doch deutlich erschwert ist, entzieht sich zunächst der Strategie der Stadt, jedoch wird mittlerweile die Achse „Alter Messplatz – Neumarkt“ im entlegenen Westen durch das kürzlich eröffnete Marchivum abgeschlossen. Denn das Marchivum soll mehr als das ansprechende neue Zuhause des Stadtarchivs sein. Wenn es nach den Plänen der Stadtentwicklung geht, wird auch dieser neue Ort zu einer Keimzelle allgemeiner Aufwertung gemäß Kreativbranche. In der Festschrift zur Eröffnung des Marchivum heißt es dazu:

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Das Marchivum kurz vor der offiziellen Eröffnung | Foto: M. Schülke

„Um die Situation unter der Jungbuschbrücke aufzuwerten und auch um eine verbesserte Sicherheitslage durch Belebung der stadträumlichen Situation zu erzielen, wurden schon verschiedene weiterführende Konzeptvorschläge erarbeitet. Zum Beispiel eine Gastronomieansiedlung unter der Brücke, kombiniert mit alternativen Nutzungen wie Musikproberäumen oder Co-Workingspaces oder eine Sportnutzung am Neckarufer in regengeschützter Lage unter der Brücke.“ (Quelle: Festschrift, Seiten 40-41)

In der Vorstellung, die Probleme eines Stadtteils könnten durch den Einzug Kreativer gelöst werden, spiegelt sich eine grundlegend neoliberales Politikverständnis, in welchem Unternehmen, genauer, junge und innovative „Start-ups” durch die heilsame Wirkung des freien Wettbewerbs, per Zauberhand Probleme lösen, für welche früher noch uncoole, verstaubte, ganz klassische Sozialpolitik zuständig war.

Wie aber stehen die Kreativen selbst zu diesem Thema? Vor kurzem fand eine Veranstaltung im Rahmen des Festivals „Haltestelle Fortschritt” am Alten Messplatz statt. Das Festival hatte die fortschreitende Gentrifizierung in Mannheim zum Thema. Die Veranstalter ließen, als im Jungbusch tätige Kreative, jegliche kritische Selbstreflexion hinsichtlich ihrer eigenen Rolle im Rahmen dieser Prozesse vermissen. Kritik daran wird zwar mit freundlichem Interesse aufgenommen, jedoch verfestigte sich der Eindruck mangelnden Problembewusstseins im Verlauf der Veranstaltung, wurde hier doch im Rahmen eines Symposiums zur Zukunft der Mannheimer Wohnpolitik Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz zur Diskussion mit Marcel Hauptenbuchner, dem Geschäftsführer der Immobilienfirma Hildebrandt & Hees eingeladen – einer Firma, die für ihr als aggressiv-rücksichtsloses wahrgenommenes Vorgehen auf dem  Wohnungsmarkt in Jungbusch und seit einiger Zeit auch in der Neckarstadt in der Kritik steht. Anstatt die unverhältnismäßige Machtfülle einer Firma wie Hildebrandt & Hees auf dem Mannheimer Wohnungsmarkt klar anzuprangern, wie es für eine gentrifizierungskritische Veranstaltung, die diese Bezeichnung verdient, unerlässlich wäre, wurde Hauptenbuchner gratis PR gewährt: Auf Podium mit dem Oberbürgermeister durfte er das Agieren seiner Firma zum „sozialen Investment” verklären.

„Anlehnungsbedürftige Kreative finden neues Heim in der Neckarstadt“

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Werbung für den Bevölkerungsaustausch | Screenshot: Webseite Altes Volksbad Creative Business

Das mangelnde Problembewusstsein innerhalb der Kreativbranche hinsichtlich ihrer eigenen Rolle im erweiterten Kontext der Stadtentwicklung ist jedoch kein punktuelles Problem, sondern struktureller Natur. Die Kreativen, ausgebildet dazu, sich selbst und ihre Produkte zu vermarkten, scheinen gar nicht anders zu können, als die Sprache der Aufwertung zu sprechen, welche immer auch eine Sprache der Ausgrenzung ist. Ein gutes Beispiel für diesen letzten Punkt ist die Veranstaltung „Go West”, die am 28. Juli zum zweiten Mal in der Neckarstadt-West stattfand. Das selbsternannte „Nachbarschaftsfest” wurde vom Kreativwirtschaftszentrum ausgerichtet und unter den 17 teilnehmenden Lokalitäten stammte der überwiegende Teil aus dem Kontext der (gewerblichen) Kreativbranche, womit das Konzept des Stadtteilfestes zum Vehikel für die Vermarktung der neuen, kreativen Neckarstadt-West instrumentalisiert wurde. Ein auf Facebook kursierendes Werbevideo, das beim letztjährigen „Go West” entstand, bringt mit seiner polierten Wohlfühlästhetik sehr genau auf den Punkt, wie die Kreativen sich und ihre positive Wirkung auf den Stadtteil gerne sehen.

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Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz bei den TEDx Talks in Mannheim | Screenshot: YouTube/TEDx

Betreibt man – wie Mannheim es tut – Sozialpolitik auf dem Umweg der Gentrifizierung, gewinnt man zusätzlich den Vorteil, dass kritische Stimmen sich leicht diskreditieren lassen. Wer etwas gegen den Einzug der Kreativbranche (der die Investoren auf Schritt und Tritt folgen) einwendet, der stellt sich zugleich gegen die Verbesserung der Lebensumstände in den fraglichen Vierteln. Dass für den Erhalt bezahlbaren Wohnraums und gleicher Chancen für Angehörige aller Schichten auf dem Wohnungsmarkt, ganz andere Weichen gestellt werden müssen, als die Förderung der Kreativbranche, gerät dabei leicht in den Hintergrund. Ist „Durchmischung” der Bevölkerung (sprich Austausch eines bestimmten Anteils von armen durch kreative und – daran anschließend – wohlhabendere Bevölkerungsschichten)  erst einmal als standardisierter modus operandi der Sozialpolitik durchgesetzt, schwindet schnell das Bewusstsein für mögliche Alternativen.

Schenkt man Peter Kurz glauben, der in einem Vortrag für die Veranstaltungsreihe TEDx 2018 davon sprach, dass Politik auf Stadtebene in naher Zukunft zur entscheidenden Domäne des politischen Handelns überhaupt wird, ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch hier die Logik der Alternativlosigkeit Einzug hält, die auf globaler Ebene schon so lange als unanfechtbar gilt.

 

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