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Klönschnack Nachbarschaft

Mittendrin statt nur dabei: Anne aus der „Go-To-Area“

#WTF! Anne Baas arbeitet in der Pressestelle der Polizei. Aus dem Jungbusch von Investoren vertrieben, zog es sie zurück in die Neckarstadt-West.

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Anne Baas wirkt erst einmal wie viele andere hier im Kiez. Eine charmante Frau in den Dreißigern, aufgeschlossen und natürlich hat sie einen kreativen Job: Sie macht was mit Medien. Fragt man genauer nach, wird es spannend. Sie macht nicht irgendwas mit Medien, sondern ist in der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums Mannheim für Social Media zuständig. Trotz ihrer noch jungen Karriere dort liefen ihre Postings bereits bundesweit im Fernsehen. Noch etwas fällt auf: Obwohl sie jeden Tag mit den Polizeiberichten der sogenannten Problemviertel konfrontiert ist, entschied sie sich ganz bewusst dafür, in die Neckarstadt-West zu ziehen. Aus Überzeugung und weil es ihr dort gut gefällt. Mittendrin im Kiez verrät sie mir, was ihren Alltag in der Pressestelle der Polizei ausmacht und warum die Neckarstadt ihre Wahlheimat ist.

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Ein Nordlicht und eine Pfälzerin mitten auf dem Alten Messplatz. So richtig warm war es noch nicht | Foto: M. Schülke

Anne, wenn man auf der Seite des Polizeipräsidiums die Ansprechpartner für Presse aufruft, dann blättert man zunächst durch eine ganze Liste gestandener Herren in Uniform. Irgendwann kommst dann Du: weiblich, blond und in Zivil. „Exotin“ ist da fast noch untertrieben. Ich stelle mir das vor, als würde man von einem anderen Stern kommen.

Anne: In der Tat, als Nicht-Polizisten sind wir in der Pressestelle schon in der Minderheit. Nur vier von 11 tragen keine Uniform, sind also keine ausgebildeten Polizisten. Als Verantwortliche für Social Media ist das für meine Rolle hilfreich. Es geht darum, Übersetzer der Polizeisprache für die Öffentlichkeit zu sein. Die Erfahrung und das Wissen der Polizisten waren und sind für mich allerdings super wichtig, denn die „Polizeidenke“ musste ich erstmal lernen. Um ein Beispiel zu nennen: Du musst manchmal bedenken, was Täterwissen ist; woraus können die Leute etwas ableiten. Solche Dinge lernst Du nicht im medienwissenschaftlichen Studium. Und im Verlagswesen, wo ich vorher gearbeitet habe, war das auch nicht relevant.

Wie kamst Du denn darauf, aus dem Verlagswesen ausgerechnet zur Polizei zu wechseln?

Anne: Es war anfangs eine örtliche Entscheidung, da ich nicht mehr von meiner geliebten Wahlheimat Mannheim täglich bis nach hinter Frankfurt pendeln wollte. Die Stelle bei der Polizei passte genau, obwohl ich mich vorher sehr auf die Verlagsbranche fokussiert hatte. Aber mal ganz ehrlich: Die Neuigkeiten bei der Polizei haben schon eine ganz andere Relevanz als eine Pressemitteilung, die ich über ein neues Sachbuch verfasst habe. Und das Thema „Social Media“ genießt bei der Polizei eine hohe Aufmerksamkeit. Wir haben 38.000 Fans unserer Facebook-Seite. Es gibt Beiträge, die durch die Decke gehen; das geht so schnell, da muss auch unsere Reaktion sehr schnell da sein. Bei manchen Fällen wird die Nationalität eines Tatverdächtigen genannt. Das ruft natürlich verschiedene Reaktionen hervor. Dann gilt es abzuwägen: Wie gehen wir mit Kommentaren um, beantworten wir oder nicht? Was ist Meinung, was ist Hetze? Wo erwidern wir, wo macht es keinen Sinn? Ich tendiere oft dazu, zumindest einmal zu antworten. Auch wenn ich weiss, es gibt Leute, die werde ich nicht überzeugen. Aber die Info oder auch die Reaktion mag für viele andere wichtig sein. Stichwort: Die stillen Mitleser.

Dein Stil scheint ja gut anzukommen. Mir wurde berichtet, dass Deine Postings schon bei ZDF heute durchgelaufen sind.

Anne: Das war der Amokfahrer in Heidelberg, der am Faschingssamstag 2017 in eine Menschenmenge auf dem Bismarckplatz fuhr. Ich war noch relativ neu bei der Polizei und die Reaktionen bei Twitter und auf der Facebook-Seite überschlugen sich. Das Wochenende habe ich fast komplett im Präsidium verbracht. Der Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt war sehr präsent; natürlich dachten alle an eine Wiederholung in Heidelberg. Dabei war sehr schnell klar, dass der Täter weder Ausländer noch die Tat politisch motiviert war. Wir haben das auch zügig als Information an die Öffentlichkeit gegeben. Es gab Leute, die das nicht glauben wollten. Als uns wiederholt vorgeworfen wurde, Unwahrheiten zu verbreiten, habe ich bei einigen auch – sagen wir mal für die Polizei – eher ungewohnte Tonart angeschlagen und diese in ihre Schranken verwiesen oder auch mal mit einem einfachen „Nö ist er nicht“ enttarnt und auflaufen lassen. Das ist für eine Pressestelle eher unüblich, hat aber für positive Reaktionen gesorgt; bis hin zu ZDF, Spiegel oder ZEIT (oder auch NDR-Medienmagazin zapp, Anm. d. Red.), die jene Kommentare in ihrer Berichterstattung aufgegriffen haben. Social Media macht ja etwas mit uns; es verändert unsere Wahrnehmung. Die Art des Umgangs im Netz ist rau, wird respektloser. In dieser speziellen Situation beim Amoklauf in Heidelberg war es wichtig, Haltung zu zeigen und auf Augenhöhe zu bleiben. Das haben wir gewagt und ich bin froh darüber, dass dies positiv aufgenommen wurde, war aber auch überrascht über das große Medieninteresse hinterher an unserer Arbeit, aber auch an meiner Person.

In Mannheim gilt die Neckarstadt-West einigen ja als „No-Go-Area“. Es gibt nicht wenige, die behaupten sogar, Frauen könnten in der West nicht auf die Straße gehen. Du lebst dort ganz bewusst; wie kam es dazu?

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Kann man als Frau in der Neckarstadt-West gut leben? Absolut, meint Anne Baas von der Pressestelle der Polizei | Foto: Sven L.

Anne: Es gibt sogar Leute, die behaupten, Frauen könnten in der West nicht auf die Straße gehen. Den Satz liebe ich ja! (schüttelt den Kopf)

Meine erste Wohnung in Mannheim war hier im Viertel. Nach Mannheim wollte ich schon immer, hier war einfach mehr los. Erst dachte ich an den Lindenhof. Auf der Lichtmeile lernte ich dann aber die Neckarstadt besser kennen. Und es war toll: z.B. ein altdeutsches Restaurant mit Punk-Konzert im Hinterhof. Nette Vermieterin und eine bezahlbare große Wohnung; so kamen wir in die Neckarstadt. Irgendwann zogen wir weiter Richtung Jungbusch und Balkon. Ein Eigentümerwechsel brachte dort dann einen Großinvestor. Das startete zunächst gut, denn der Hausmeisterservice funktionierte plötzlich, das Schreiben mit der Mieterhöhung ließ allerdings auch nicht lange auf sich warten. Und da ich weder Lust auf langwierigen Streit hatte und klar war, dass wir zur Miete kaum mehr etwas vergleichbar Großes und Günstiges finden würden, kam die Idee, stattdessen selbst in Eigentum zu investieren. Die Neckarstadt kannten und liebten wir ja schon von vorher und West war da einfach noch bezahlbarer als Ost. So hat es mich wieder in die Neckarstadt verschlagen. Sind wir den Immobilienhaien hier zuvorgekommen oder selbst Gentrifizierer? Keine Ahnung; aber ich möchte hier schön leben und nicht teuer weiterverkaufen. Hier kann ich heimkommen und mich wohlfühlen. Ich lebe in einem Stadtteil, in dem ich überall zu Fuß hin komme und kein Auto brauche. Hier kann ich auf Konzerte gehen oder mit Freunden was trinken; es ist alles in der Nähe.

„Das Risiko, nachts in Hundescheiße zu treten, ist viel höher als das, überfallen zu werden.“

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Auch als Mitarbeiterin der Polizei hat man im Neckarstädter Alltag die gleichen Probleme wie alle anderen: Die (Sperr-)Müllplage und Hundekot | Foto: Sven L.

Und die sogenannte „No-Go-Area“? Du bist ja dran an der Quelle und liest jeden Tag, was so alles passiert ist.

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Anne: Mir ist es selbst nie so gegangen, dass ich irgendeinen Stadtteil oder bestimmte Bereiche als „No-Go-Area“ empfunden habe. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich mich nicht allein durch den Stadtteil bewegen kann. Allerdings habe ich auch grundsätzlich keine Angst in Vierteln, die belebt sind, eher in verschlafenen Vororten, wo nachts niemand auf der Straße ist. Wenn man in LU aufgewachsen ist wie ich, dann kennt man das sehr Urbane und hat weniger Berührungsängste mit einem hohen Migrationsanteil.

Das Sicherheitsgefühl ist ja oft sehr subjektiv. Soziale Medien machen die Dinge mehr publik. Die Verbreitung ist anders und die Leute haben eine andere Wahrnehmung.

In unserem Haus wurde der Türschnapper ausgesetzt, damit die Kinder reinkommen, ohne klingeln zu müssen. Parallel diskutieren dann die anderen Wohnungseigentümer über Videoüberwachung in Hof und Haus. Das ist doch verrückt. Wenn überall bestimmte Polizeimeldungen präsent sind, kann das auch von den vielen Dingen ablenken, die gut laufen. Und ja, es gibt auch Dinge, die mich nerven. Das Risiko, nachts in Hundescheiße zu treten, ist viel höher als das, überfallen zu werden.

Ich erlebe die Neckarstadt als sehr positiv – abgesehen von den Hundehaufen und wilden Müllablagerungen vielerorts – und versuche auch auf das Positive aufmerksam zu machen. Der eine will einen Vorgarten und seine Ruhe. Für mich ist es Lebensqualität, die Wahl zu haben zwischen Konzert im Alten Volksbad oder am Kulturkiosk, einem Abend am Neckarufer oder Leute zu treffen am ALTER. Von wegen „No-Go-Area“; „Go-To-Area“ trifft es aus meiner Sicht viel besser. Welch’ anderer Stadtteil kann dir sowas bieten?

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Foto: M. Schülke

Wie siehst Du das? Wird die Neckarstadt der neue Jungbusch?

Anne: Ich kann mir das nicht vorstellen, jedenfalls nicht in der krassen Form wie im Jungbusch. Dafür ist sie viel zu groß, als dass Immobilieninvestoren dort eben mal ganze Straßenzüge kaufen und zu hippen, teuren Wohnungen machen könnten und so das Gesicht eines ganzen Stadtteils verändern. Ich denke, hier wird sich noch einiges zum Positiven verändern, baulich und gesellschaftlich. Die grundsätzlich gute Mischung aus verschiedensten Bevölkerungsschichten wird bleiben. Mir gefällt, dass in der Neckarstadt auch tagsüber was los ist. Der Jungbusch ist ja nur nachts die Partymeile, während ich tagsüber dort kaum Leuten begegnet bin. In der Neckarstadt lebt und trifft man sich auch tagsüber in den gemeinsamen Cafés und Plätzen. Man findet unheimlich schnell Anschluss. Wenn ich unser Haus ansehe mit seinen hauptsächlich türkischen Familien: Auf den ersten Blick wirken der mit Mülltonnen vollgestellte Hof und die Abstellbalkone wenig attraktiv; aber alles ist voller Leben. Im Hof werden Weinblätter gedreht und es ist eine richtig nette Nachbarschaft.

Das leitet doch perfekt über zu meiner letzten Frage: Wo steht sie denn dann, Deine Feierabendbank? Und was trinken wir, um unser Hoch auf die Neckarstadt zu besiegeln?

Anne: Am besten mittendrin; am ALTER oder auf dem Neumarkt. Und wie es sich für eine gebürtige Pfälzerin gehört, gibt es ein gutes Glas Wein. Aus der Pfalz natürlich.

~

Während unseres Gesprächs an einem Nachmittag mitten im Kiez auf unserer Bank auf dem Alten Messplatz kicken die kleinen Jungs aus der Schimperstraße um uns herum. Die Zweijährigen zuckeln in fiepsenden, elektrischen Miniaturausgaben der Traumautos ihrer Eltern über den Platz und im Hintergrund hört man die Kids mit ihren Boards über den Pumptrack am ALTER scheppern. Niemand wundert sich über die beiden Frauen, die auf einer selbst mitgebrachten Bank ein Gläschen Wein trinken.

Über Anne Baas:
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Anne Baas an ihrem Arbeitsplatz | Foto: PP Mannheim

Aufgewachsen in Ludwigshafen zog Anne bald nach Mannheim, weil hier einfach mehr los war. Nach dem Abitur startete sie zunächst eine Verwaltungslaufbahn bei der Stadtverwaltung Viernheim. Hier wurde es ihr schnell etwas langweilig. Die Verlagsbranche im Sinn, startete sie in Mainz ein Zweitstudium: Buchwissenschaft mit den Nebenfächern Publizistik und Sprachwissenschaft. Nach dem Abschluss war sie einige Jahre im Lektorat eines Stuttgarter und später in der Pressestelle eines Frankfurter Fachverlages tätig, bevor sie Ende 2016 in die Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidium Mannheims wechselte.

Den Charme der Neckarstadt entdeckte Anne bei der Lichtmeile, ihre erste Wohnung hatte sie hier. Nach einigen Jahren im Jungbusch zog sie 2017 wieder in die Neckarstadt-West. Dieses Mal in die eigenen vier Wände.

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1 Kommentar zu “Mittendrin statt nur dabei: Anne aus der „Go-To-Area“

  1. Anonymous

    sehr schöner Beitrag ;-)

Kommentare sind geschlossen.