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Nachbarschaft

„So könnten wir leben“

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Die Autorinnen Aleida Assmann, Ronja von Wurmb Seibel, Hadija Haruna-Oelker waren zu Gast in der Alten Feuerwache | Fotos: P. Rönnebeck

Im Rahmen des Mannheimer Literaturfests LESEN.HÖREN diskutierten drei Autorinnen in der Alten Feuerwache über Gemeinschaft und Verantwortung.

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Rechte Gewalt, Armut, Krieg – aktuelle gesellschaftliche Krisen sind nur schwer zu bewältigen. Gerade in solchen Zeiten kann Veränderung vor allem im Kollektiv, mit Verbündeten, entstehen. Zum Thema „Verbündet-Sein“ und „Gemeinschaft“ trafen sich am 6. März 2025 drei Autorinnen – Aleida Assmann, Hadija Haruna-Oelka und Ronja von Wurmb-Seibel – im Rahmen des diesjährigen Mannheimer Literaturfests LESEN.HÖREN in der Alten Feuerwache.

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Alle Redebeiträge wurden von drei Gebärdensprachdolmetscher*innen übersetzt | Foto: P. Rönnebeck

„Wir haben uns auf diese Veranstaltung wie auf ein Licht hinzubewegt.“ Nach dem Anschlag in der Mannheimer Innenstadt und den rechtskonservativen Ergebnissen der Bundestagswahl stellt Moderatorin Insa Wilke die zentrale Frage: „Was tun?“ Sie verweist auf die Bedeutung von Zusammenhalt und Verbundenheit in Zeiten, in denen Gewalt und rechte Strukturen erstarken. Der bis auf den letzten Platz gefüllte Saal macht deutlich: Viele Menschen suchen nach Orientierung, nach Antworten auf die Frage „Was tun?“ – und sie suchen sie im gemeinsamen Nachdenken, im Austausch und in der Literatur der drei Autorinnen.

Drei Autorinnen – drei Bücher

Auf der Bühne sitzen Aleida Assmann, Hadija Haruna-Oelker und Ronja von Wurmb-Seibel. Links daneben werden die Redebeiträge von drei Gebärdensprachdolmetscher*innen übersetzt. Die Autorinnen stellen ihr Konzept für den Abend vor: Es soll keine externe Moderation geben. Stattdessen möchten sie sich selbst vorstellen, jeweils ein Buch präsentieren, einander Fragen stellen und aus ihren Werken lesen.

Aleida Assmann

Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann schreibt und forscht seit vielen Jahren zum kollektiven Gedächtnis, zur Erinnerungskultur und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch ihr neu erschienenes Buch beschäftigt sich mit diesen Themen: „Gemeinsinn. Der sechste, soziale Sinn.“ Verfasst hat sie es gemeinsam mit ihrem vor einem Jahr verstorbenen Ehemann Jan Assmann. „Der Gemeinsinn ist eine Lehr- und Suchformel für gesellschaftliche Beziehung“, erklärt sie. Aleida Assmann berichtet, wie das Buch im Dialog, im gemeinsamen Denken und Schreiben entstanden ist – ein kollektiver Prozess, aus dem das persönliche Sachbuch hervorging, das sie nun in den Händen hält.

Ronja von Wurmb-Seibel

Die politische Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel beschäftigt sich mit den Hintergründen globaler Konflikte und den Auswirkungen von Krieg auf Gesellschaften. Angesichts der Schwere dieser Themen ist Gemeinschaft für sie ein zentrales Anliegen. „Verbundenheit gibt mir Kraft, Mut, Sicherheit“, sagt sie. Dieses Gefühl war der Hauptantrieb für ihr Buch „Zusammen: Warum wir für ein gutes Leben Verbündete brauchen – und wie wir sie finden“. In ihrem SPIEGEL-Bestseller und auch auf der Bühne warnt sie: „Das Gefühl von Einsamkeit stärkt die Tendenz zur Radikalisierung nach rechts. Verbundenheit wiederum stärkt Demokratie und Sicherheit.“

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Hadija Haruna-Oelka

Hadija Haruna-Oelka ist politische Journalistin, Schwarze Frau und Mutter eines behinderten Kindes. Ihre Perspektive ist geprägt von Erfahrungen mit Intersektionalität und den alltäglichen Barrieren, die daraus erwachsen. „Unsere Gesellschaft“, erklärt sie, „ist ein segregierendes System zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten.“ In ihrem 2024 erschienenen Buch „Zusammensein. Plädoyer für eine Gesellschaft der Gegenseitigkeit“ spricht sie sich deshalb für ein grundlegendes Umdenken aus: hin zu einer inklusiven, solidarischen Gesellschaft, in der Unterschiedlichkeit nicht als Defizit, sondern als Bereicherung verstanden wird. Sie fordert, dass gesellschaftliche Strukturen so gestaltet werden, dass alle Menschen – unabhängig von körperlichen Voraussetzungen, Herkunft oder sozialem Status – gleichberechtigt teilhaben können. „Wir sind verschieden im Gleichsein des Menschseins“, sagt sie. Das Publikum applaudiert zustimmend.

Gibt es Inklusion?

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Gefüllte Ränge schon vor Beginn der Veranstaltung | Foto: P. Rönnebeck

Aleida Assmann stellt eine erste Frage an Hadija Haruna-Oelka: Was bedeutet „gleiche Rechte für Ungleiche“? Und wie kann eine gesellschaftliche Transformation aussehen, die diesem Anspruch gerecht wird? Haruna-Oelka erklärt diese Thematik anhand ihres Buches. Es gehe dabei um Inklusion, Verantwortung und Fürsorge – nicht als wohlmeinende Geste, sondern als politische Praxis, die tatsächlich Strukturen verändern muss. Sie beschreibt, dass unsere Gesellschaft wie ein Kreis funktioniert – jedoch nicht alle Menschen darin stehen. Manche stehen am Rand oder außerhalb dieses Kreises, weil sie durch strukturelle Barrieren, Vorurteile oder mangelnde Rücksicht ausgeschlossen werden. Auch die Inklusion zeichnet einen Kreis innerhalb eines Systems – und nur diejenigen, die sich innerhalb dieses Kreises bewegen, gelten als Teil der „Inklusion“. Die Journalistin spricht aus eigener Erfahrung, dass es echte Inklusion nicht gebe, denn „Inklusion bedeutet, dass alle mitmachen müssen, nicht nur die eine Person, die sich anpassen soll.“

„Was ist denn schon normal?“

„Willst du das Essen normal oder vegetarisch? Den Kaffee mit normaler oder Hafermilch?“ Fragen wie diese verdeutlichen, wie tief der Begriff „normal“ in unserer Sprache und unserem Denken verankert ist. Aber was genau meint „normal“? Welche Bedeutung hat dieses kleine Wort und welche Hierarchie existiert zwischen dem Normalen und dem Nicht-Normalen? Hadija Haruna-Oelka antwortet klar: „Als Schwarze Frau gibt es Normal für mich nicht.“ Ihre Aussage entlarvt die vermeintliche Allgemeingültigkeit dieses Begriffs als eine Perspektive, die vor allem von weißen, nicht-behinderten und gesellschaftlich privilegierten Menschen geprägt ist. „Was ist denn schon normal?“ fragt sie und stellt damit das Konzept selbst infrage. Die Autorin erklärt: „Was als normal gilt, ist oft das Ergebnis historischer und struktureller Machtverhältnisse.“ Dazu zählt auch Ableismus, die systematische Abwertung und Ausgrenzung von behinderten Menschen. Ableismus ist eine Form von Unterdrückung, die sich nicht nur in offensichtlicher Diskriminierung zeigt, sondern oft auch subtil in Sprache, Erwartungen und Alltagsnormen wirkt. Solche Machtverhältnisse müssen von Menschen erst erkannt und dann aktiv verlernt werden. Das gelingt durch Verbundenheit, durch sich-kümmern und durch das Füreinander-da-sein.

Wie kommen wir in den Austausch?

Eine weitere zentrale Frage des Abends ist: „Wie können wir in den Austausch kommen? Wie kommen wir miteinander klar? Wie können wir Menschenrechte stärken?“ Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann antwortet darauf mit einem prägnanten Gedanken: Aus Menschenrechten müssen „Menschenpflichten“ werden. Erst wenn wir individuelle Rechte mit kollektiver Verantwortung verbinden, so Assmann, können Menschenrechte tatsächlich wirksam werden. Wir müssten unseren oft individualistisch geprägten Blick hinterfragen und uns stattdessen wieder stärker als Teil eines gesellschaftlichen Gefüges verstehen. Es reicht nicht, Rechte nur einzufordern – wir müssten auch Pflichten gegenüber dem Gemeinwohl, der Mitwelt und den Mitmenschen anerkennen. „Auch politische Bewegungen sind auf das Miteinander angewiesen und nicht auf das einzelne Individuum.“ Veränderungen entstehen am besten durch kollektives Handeln, durch Zuhören, Dialog und gemeinsame Verantwortung.

Welche Geschichten erzählen wir? Scham und Verletzlichkeit

Eine letzte, wichtige Frage, mit der sich Ronja von Wurmb-Seibel beschäftigt, ist die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen. In einer Welt, die von negativen Schlagzeilen dominiert wird, ist es leicht, die Nerven zu verlieren und in Resignation zu verfallen. Umso wichtiger sei es, dem etwas entgegenzusetzen. Die Journalistin betont dabei die Bedeutung der Dankbarkeit. „Gerade weil negative Informationen so präsent sind“, sagt sie, „müssen wir unserem Gehirn signalisieren, dass auch positive Gedanken für uns relevant sind.“ Dankbarkeit ist für sie keine naive Haltung, sondern ein aktiver Widerstand gegen das Gefühl der Ohnmacht. In Deutschland wird Trauer oft im privaten, verschlossenen und einzelnen Rahmen abgehandelt. Von Wurmb-Seibel ruft deshalb dazu auf, gemeinsam zu trauern – genauso wie gemeinsame Freude hat gemeinsame Trauer etwas tief Verbindendes. Sie kann Gemeinschaft stiften und Hoffnung geben – etwa, wenn wir gemeinsam über politische Entwicklungen wie eine Bundestagswahl trauern, die viele als Rückschritt empfinden. Dabei spielen Zugehörigkeit und Solidarität eine zentrale Rolle. „Wir sind nicht schwach, wenn wir teilen, wenn wir um Hilfe bitten“, betont sie. „Im Gegenteil. Mut ist ansteckend, Mut führt zu mehr Verbundenheit und erhöht die Wahrscheinlichkeit, andere auch zu ermutigen.“