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Nachbarschaft

150 Jahre Neckarstadt: Arbeiterwohnungen und Industrieanlagen jenseits des Neckars

Ein Stadtrundgang des Vereins „Rhein-Neckar-Industriekultur“ ist die Grundlage dieses geschichtlichen Rückblicks auf die Anfänge eines Arbeiter- und Industriestadtteils.

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Die Gründung der Neckarstadt geht auf das Jahr 1872 zurück. Die Mannheimer Kernstadt beschränkte sich damals auf die Lage zwischen den zwei großen Flüssen Rhein und Neckar. Doch der Platz wurde knapp, die Grundwasserversorgung immer schlechter und vor allem die Arbeiter*innen, die im Zuge der Industrialisierung in die Städte strömten, benötigten Wohnraum. Die Besiedelung des Landstrichs nördlich des Neckars vor 150 Jahren brachte den größten Mannheimer Stadtteil hervor.

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Auf dieser Karte von 1890 erkennt man die Standorte von Bahnhof Neckarstadt, Chemiefabrik und Neckargärten. Oben rechts ist der Verlauf des Altneckars am heutigen Industriehafen zu sehen. Auch die Brauerei im heutigen Wohlgelegen ist links unten zu sehen. | Bild: Moritz Eisenlohr, Tiefbauamt Mannheim | Wikimedia Commons

Standort für eine riesige Düngemittelfabrik

Schon 1845 wurde die erste feste Brücke am Standort der heutigen Kurpfalzbrücke eingeweiht, damals noch eine Kettenbrücke. Rund 10 Jahre später begann die Zimmersche Düngemittelfabrik ihre Produktion. Sie lag genau am Ausgang der Brücke, am Tor zur Neckarstadt, dort wo sich heute Alter Messplatz und die Wohnhäuser der Max-Josef-, Schimper- und Waldhofstraße befinden. Die Düngemittelfabrik sorgte nicht nur für viele Arbeitsplätze, sie produzierte auch große Mengen Lärm, Gestank und giftige Chemieabfälle.

Vor 1872 befand sich an der Stelle der heutigen Neckarstadt-West eine Gartenanlage, die „Neckargärten“. Außerhalb der Stadt wohnten dort nur wenige Menschen mit festen Wohnsitz, einige Gärtner- und Handwerkerfamilien. 1872 wurde unter Oberbürgermeister Eduard Moll offiziell die Bebauung der „Neckarvorstadt“ beschlossen. In den folgenden Jahrzehnten wurde der neue Stadtteil auf dem Gelände der ehemaligen Neckargärten erbaut. Die heutigen Straßen der Neckarstadt-West gehen noch auf das Wegenetz der alten Gartenanlage zurück.

Die Zimmersche Düngemittelfabrik befand sich nun mitten im Wohngebiet. Und es zogen immer mehr Menschen in die Neckarstadt. Zwischen 1890 und 1905 steigerte sich die Einwohnerzahl von knapp 10.000 auf 29.000 Menschen.

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Die Zimmersche Düngemittelfabrik im Herzen der Neckarstadt zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Fabrikentenvilla am Eingang soll man bereits gesehen haben, wenn man über die Neckarbrücke lief. | Bild: MARCHIVUM

Ansiedelung vom Großbetrieben

Während sich im Westen die einfachen Grundstücke, Gärten und Häuser befanden, wurden im Osten der Neckarstadt größere Arbeitersiedlungen mit höheren Häusern gebaut. Auch siedelten sich dort große Firmen an, darunter Bopp & Reuther 1872, die Miederwarenfabrik Felina 1885 und die Rheinische Gasmotorenfabrik von Carl Benz 1886.

Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Stadtentwicklung der Neckarstadt im Zuge der Industrialisierung Fahrt auf. Ein Stadtentwässerungssystem wurde in Betrieb genommen, eine Bauordnung verabschiedet und es wurden Schulgebäude errichtet. 1897 wurde ein Bahnhof eingeweiht. Dort, wo sich heute das Gelände von ALTER befindet, fuhren damals Züge ein und aus. Die Gleise verliefen entlang des Neckars bis nach Lampertheim und Worms.

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Bahnhof Neckarstadt, heute Freifläche von ALTER mit Plänen für Neubauten. Bild: MARCHIVUM

Da die Firmen über die Jahre ihre Produktion ausweiteten, immer mehr Fläche benötigten, aber gleichzeitig um die Produktionsanlagen herum dichte Wohnbebauung entstand, wanderten einige Großbetriebe in den Norden der Stadt ab. Die Zimmersche Düngelmittelfabrik zog beispielsweise an den Industriehafen im Nord-Westen der Neckarstadt – ein Glück für die Anwohner*innen und deren Gesundheit. Heute erinnert im Wohngebiet nördlich des Alten Messplatz nichts mehr daran, dass dort einmal eine riesige Chemiefabrik stand. Auch das Unternehmen selbst gibt es nicht mehr. Nach Fehlplanungen und Konkurrenz durch die BASF ging die Düngelmittelfabrik irgendwann pleite.

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Die Neckarstadt entwickelte sich über die Jahrzehnte immer mehr zu einem Wohnquartier. Doch einige Firmen blieben bis heute. Die Mannheimer Motorenwerke befinden sich immer noch zwischen Waldhof- und Max-Josef-Straße und gehören mittlerweile zum internationalen Caterpillar Konzern. Und auch die Gebäude der Felina Werke befinden sich mitten im Wohngebiet der Neckarstadt-Ost.

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Das imposante Gebäude der Humboldtschule vor dem zweiten Weltkrieg. Bei den Bombardierungen verlor sie ihre spitzen Türme | Bild: MARCHIVUM

Der Unterschied zwischen Ost und West

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Die Spelzengärten am Rand der Neckarstadt (1936), damals sozialer Brennpunkt und Obdachlosensiedlung | Bild: MARCHIVUM

Die Trennlinie zwischen der Neckarstand-West und der Neckarstand-Ost markiert die Waldhofstraße. Die Industrialisierung und die Herausbildung des Proletariats brachten die bekannten Probleme mit sich: Ausbeutung, Armut, schlechte Wohn-, Arbeits- und Lebensverhältnisse. Es entwickelten sich soziale Brennpunkte, wie die Spelzengärten mit illegal errichteten Baracken und Siedlungen im äußersten Westen der Neckarstadt. Die städtische Armenpflege stellte Anfang des 20. Jahrhunderts fest, dass die Neckarstadt der Stadtteil mit der höchsten Quote an Bedürftigkeit war.

Die Neckarstadt-West galt schon damals als Sündenpfuhl mit billigen Kneipen, Vergnügungsstätten und Rotlichtbezirk. In der Neckarstadt-Ost sah es dagegen besser aus. Das sah man schon (und sieht man auch heute noch) an den höheren und schöneren Häusern. Schon damals gab es einen besseren Lebensstandard in Ost, die Wohnungen waren teurer, ebenso die Kneipen und Restaurants. Die Neckarstadt-Ost bekam den Namen „Musebrotviertel“, denn hier konnten sich die Leute Marmelade auf dem Brot leisten.

Der Arbeiterstadtteil zwischen Stadtentwicklung und Selbstorganisation

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Die Alphornstraße voller roter Fahnen und Hakenkreuzfahne im Wahlkampf der 1930er Jahre | Bild: MARCHIVUM

Neben den städtischen Bemühungen, die Infrastruktur und Versorgung zu verbessern, so beispielsweise die Ansiedlung von Pumpwerk, Elektrizitätswerk, Gaswerk sowie der Hauptfeuerwache am heutigen Alten Messplatz, waren es vor allem die Arbeiterselbstorganisationen, die sich für eine Verbesserung der Lebensumstände einsetzen.

Viele Arbeiter*innen waren gewerkschaftlich organisiert. Es kam zu Streiks und Arbeitskämpfen. Die aufstrebenden Arbeiterparteien SPD und später auch KPD hatten in der Neckarstadt viele Mitglieder. Aus der „roten Neckarstadt“ entwickelte sich in den 30er Jahren massiver Widerstand gegen die Nazis. Es kam zu Schlägereien und Straßenschlachten zwischen Kommunisten und SA-Truppen in den Arbeiterwohngebieten. Der Kampf um die Deutungshoheit war auch daran zu erkennen, dass überall in den Straßen rote Fahnen und Hakenkreuzfahnen aufgehängt und gegenseitig wieder abgerissen wurden.

Die Neckarstadt damals und heute

Viele prägende Eigenschaften der Neckarstadt haben sich bis heute fortgesetzt. Immer noch ist der westliche Stadtteil ein Anlaufpunkt vieler Arbeiter*innen, die ihr Glück in einer neuen Stadt versuchen wollen, auch wenn sich heute viele Studierende, Kreative und junge Menschen unter das Arbeitermilieu mischen und für die kontrovers diskutierte „Aufwertung“ sorgen. Im Osten hat sich ebenfalls der Trend fortgesetzt. Die Häuser, Wohnungen und Gaststätten sind teurer und exklusiver und sorgen für ein anderes Klientel. Vor allem Familien zieht es auf der Suche nach einem gehobeneren Lebensstandard in den Osten der Neckarstadt – die erforderlichen finanziellen Mittel vorausgesetzt.

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Blick auf die heutige Neckarstadt-West | Foto: privat

Zum 150. Geburtstag der Neckarstadt ist die Diskussion um die Zukunft des Stadtteils in vollem Gange. Zahlreiche Akteur*innen und Initiativen bemühen sich um Einfluss auf die Veränderungen. Der Wandel von Lebensbedingungen und Arbeitsalltag spielen dabei ebenso eine Rolle, wie der Umgang mit der Situation eines immer knapper und teurer werdenden Wohnungsmarktes.

Links und Termine zum Thema 150 Jahre Neckarstadt

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