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Nachbarschaft

Nichts ist sicher. Gebäude sind nur Gebäude

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Die abgestützte Empore im Gemeindehaus neben der Melanchthonkirche. Das Haus musste geschlossen werden und ist ein Beispiel dafür, wie es mit den Gebäuden in der Badischen Landeskirche aussieht. Die Zukunft heißt überwiegend: aufgeben | Foto: Paesler

Von 30 Kirchen in Mannheim bleiben statistisch nur 10 übrig, in der Neckarstadt voraussichtlich nur eine. Das sei „ein geistlicher Prozess“, wird gesagt.

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In der gesamten Evangelischen Badischen Landeskirche können langfristig nur 30 Prozent der Kirchen erhalten werden.

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Die Paul-Gerhardt-Kirche in Neckarstadt-West | Foto: M. Schülke

Gibt es bei der Evangelischen Kirche in der Neckarstadt eigentlich noch ein einziges Gebäude ohne Reparaturbedarf? In der öffentlichen Gemeindeversammlung Anfang Februar, die wegen Corona virtuell abgehalten wurde, war von Sanierungsstau und Schadenskartierung die Rede und von fehlenden Millionenbeträgen. Wie konnte es dazu kommen? Dekan Ralph Hartmann antwortete uns auf Anfrage: „Die Gebäudesituation in der Neckarstadt hat sich den vergangenen 20 Jahren sehr dynamisch entwickelt. Zum Beispiel wurde das Paul-Gerhardt-Areal unter Denkmalschutz gestellt, was die Kosten für Sanierung und Erhalt deutlich erhöht.“ Dennoch ist schwer zu verstehen, dass die Erkenntnis für die Kosten-Einnahmen-Schere dermaßen spät kommt, dass man jetzt eine radikale Notbremsung hinlegen muss. Von 30 evangelischen Kirchen werden 20 weichen. Von ehemals fünf wird in der Neckarstadt nur eine bleiben. Ein Höllenritt für eine Kirche.

Keine Reparaturen mehr an der Lutherkirche

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Die Diakoniekirche Luther, früher schlicht als Lutherkirche bekannt (Archivbild) | Foto: M. Schülke

Nennen wir die dicksten Brocken gleich am Anfang: An der Lutherkirche wird es keine Reparaturen mehr geben, wurde in der Gemeindeversammlung mitgeteilt. Das Gebäude wird noch genutzt, so lange es geht, und dann aufgegeben. Der Sanierungsstau wurde vom Dekan auf gegenwärtig gut zwei Millionen Euro beziffert. „Kategorie C“ nennt das die Kirche, im Klartext: „aufgeben, umwidmen, andere Nutzungen suchen“. 730.000 Euro müssten in die Melanchthonkirche (Kategorie A, „Kirchen, die wir langfristig erhalten wollen, die wir pflegen können und wollen“) investiert werden und 2,6 Millionen Euro ins Paul-Gerhardt-Ensemble (Kategorie B/C), um beide für die gemeindliche Nutzung zu erhalten – Paul-Gerhardt eben, so lange es möglich ist. All diese Zahlen und das Drumherum sind derzeit nur Zustandsbeschreibungen und Vorschläge des Lenkungsausschusses an die Stadtsynode. Beschlüsse sind noch keine gefasst, Entscheidungen wird die Stadtsynode am 6. und 7. Mai treffen. Sozusagen ist im Moment nichts sicher.

Gemeindehaus der Melanchthonkirche wohl endgültig geschlossen

Doch, eines steht fest: Das Melanchthonhaus in der Langen Rötterstraße kann bereits nicht mehr genutzt werden. Das Gebäude zeigte seit Langem Risse, wurde im Kellergeschoss abgestützt und von außen mit Klammern zusammengehalten (wir berichteten). Dem Augenschein nach war der unhaltbare Zustand des Gemeindehauses der Auslöser dafür, auch die anderen Kirchengebäude Mannheims unter die Lupe zu nehmen. Nun ist das Gemeindehaus neben der Melanchthonkirche geschlossen, dem Vernehmen nach endgültig. Ein großer Versammlungssaal und viele Nebenräume stehen der Gemeinde unwiederbringlich nicht mehr zur Verfügung.

Seit wann weiß man von dem Sanierungsstau der Gebäude?

Der Dekan sagt, die Gebäudesituation werde regelmäßig geprüft. Fest steht: Seit etwa zehn Jahren ist die evangelische Neckarstadtgemeinde mit rund 8.000 Mitgliedern und 800 Kindern die größte Mannheims. Im Zeitraum des vergangenen Jahrzehnts wurden im Stadtteil ehemals fünf Kirchengemeinden in mehreren Schritten zu einer fusioniert. Während dieser Zeit wurde eine Kirche abgerissen (Kreuz, Wohlgelegen) und das gesamte Areal verkauft, eine umgewidmet und ein Gemeindehaus verkauft (beide Luther, Neckarstadt-West). Mit den Erlösen wurden Schulden bezahlt. In der Neckarstadt wird also seit mehr als einem Jahrzehnt das Einsparen geplant. Notiz am Rande ist, dass dabei die Pfarrstellen geraume Zeit nicht voll besetzt waren, da hat die Kirche nochmals gespart auf dem Rücken der Hauptamtlichen und der Gemeinde. Kann es wirklich sein, dass die Kirchenleitung erst nach und nach wusste, wie kaputt ihre Gebäude sind? Wie bewusst war der Kirchenleitung, welche tiefen Einschnitte das für ihre Haupt- und Ehrenamtlichen bedeutet? In der größten und lebendigsten Gemeinde, die die Evangelische Kirche Mannheim hat?

Zwei Gemeindeversammlungen in 16 Monaten

Zwei Gemeindeversammlungen in 16 Monaten (07.10.2020 und 03.02.2022) zum hochbrisanten Thema Kirchengebäude klingen nicht nach dringlichem Krisenmanagement zu einem Thema, das in der Lage ist, den Gemeindealltag lahmzulegen. Vor knapp eineinhalb Jahren bei der letzten Gemeindesitzung zum Thema wurde das als befürchtetes Szenario vorausgesagt, und Dekan Ralph Hartmann verbat sich kategorisch eine „Opferhaltung“; den Zungenschlag „… dann können wir eben dies und jenes künftig nicht mehr machen“ lehne er ab. Wer beurteilt eigentlich, wann es sich um eine Opferhaltung von Mitarbeitern handelt und wann um nüchterne Fakten? Tatsachen gibt es längst: Das soziale Projekt „Kaffee und Kleider unterm Turm“ zum Beispiel, das seit 28. März 2000 besteht, kann seit mehr als einem Jahr nur noch eingeschränkt und seit der Schließung des Melanchthonhauses gar nicht mehr durchgeführt werden. Wohin mit Kleiderspenden, wenn es doch keine Räume gibt zum Lagern? Genau diese Situation war vor eineinhalb Jahren angekündigt worden und hatte die harsche Reaktion des Kirchenoberen ausgelöst.

„Kaffee und Kleider unterm Turm“ gab Menschen mit wenig Geld die Möglichkeit, gebrauchte Kleidung für einen geringen Betrag zu erstehen. Der hiermit erzielte Erlös diente wiederum weiteren Projekten, nämlich der Finanzierung beispielsweise der Sonntagseinladung und der Gutscheine für Arme und Obdachlose. Die kausale Kette ist erschreckend eindeutig: Gebäude defekt – ehrenamtlicher Einsatz defekt. Wohlgemerkt: Einsatz für bedürftige Menschen. Die Kirche beraubt sich mit ihrem Gebäudemanagement ihrer eigenen diakonischen Möglichkeiten. Sehr bitter – nicht zuletzt für Ehrenamtliche, die den Einsatz seit über 20 Jahren mit Herzblut leisten und eigentlich nicht damit aufhören wollten. Opferhaltung?

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Gemeindearbeit wird in der Langen Rötterstraße konzentriert

Gut möglich, eigentlich wahrscheinlich ist, dass in wenigen Jahren evangelische Gemeindearbeit im Wesentlichen nur noch an der Langen Rötterstraße stattfindet, an einem einzigen Standort in einem Stadtteil mit knapp 60.000 Einwohnern. Vor 25 Jahren waren es noch fünf Standorte: Herzogenriedgemeinde, Kreuzgemeinde (Wohlgelegen), Melanchthongemeinde (Neckarstadt-Ost), Luthergemeinde (Neckarstadt-West), Paul-Gerhardt-Gemeinde (nördliche Neckarstadt-West).

Ralph Hartmann nannte das Jahr 2025 als den Zeitpunkt, ab dem man mit Beständigkeit rechnen könne. Das sieht so aus: Nach momentanem Wissen stehen 6,1 Millionen Euro für Baumaßnahmen (Sanierung oder Neubau) zur Verfügung. Dem steht ein Sanierungsbedarf von 22,5 Millionen gegenüber (was zur Einteilung in die Kategorien A, B und C führte). Der Dekan sieht die Chance, nach einer Renovierung der Melanchthonkirche und dem Ersatzbau fürs Melanchthonhaus wenigstens in der Langen Rötterstraße die kirchengemeindliche Arbeit fortzusetzen. Es besteht die Vision, die diakonische Arbeit, die derzeit an der Lutherkirche geschieht, eventuell an Paul-Gerhardt fortzuführen. Dort sähe er dann die Möglichkeit, für Gemeindeveranstaltungen je nach Bedarf Räume anzumieten. Ein Konzept für die Verlagerung von einer Diakoniekirche Luther zu einer Diakoniekirche Paul-Gerhardt wurde nicht genannt; es scheint noch keines zu geben. Zur gegenwärtigen Vision des Melanchthon-Ersatzbaues hieß es, dort eventuell dreistöckig zu bauen. Das könne durch einen Investor geschehen, von dem man künftig Räume anmietet, oder durch einen eigenen Bau, in den man zur Finanzierung Mieter mit hineinnimmt. „Das müsste dann ja nicht gerade Aldi sein“, meinte Hartmann.

Mitgliederzahlen gehen zurück

Wie man es dreht und wendet, die Zukunft für die evangelische Gemeindearbeit in Mannheim sieht nicht rosig aus. Die Mitgliederzahlen gehen zurück. Derzeit gibt es in Mannheim 30 evangelische Kirchen. Die Entwicklung der Mitglieder pro Kirchengebäude in den letzten 50 Jahren spricht eine deutliche Sprache: 1968 waren es 4.605 Zugehörige pro Kirche, 2019 waren es 2.080. Erwartet werden fürs Jahr 2032 weitere 430 weniger und für 2040 rund 720 weniger. In knapp 20 Jahren nur noch 1.360 Mitglieder pro Kirche – das macht anschaulich, dass man in Zukunft weniger Kirchengebäude braucht und weniger finanzieren kann. „Wir haben in Mannheim mehr Kirchengebäude, als wir erhalten können“, sagt Hartmann dazu. „Unser Ziel ist es, die Anzahl an Kirchen zu pflegen und zu unterhalten, die wir auch nachhaltig finanzieren können. Das war aufgrund der großen Zahl in den vergangenen Jahrzehnten nicht möglich, weswegen es an vielen Stellen zu wachsendem Sanierungsstau kommt.“ Sind die Kirchengebäude schuld an der Misere, weil sie zu viele sind? Oder sind es die Austritte? Letzteres könnte sein. Die Frage bleibt, warum man erst jetzt reagiert.

Wir fragten auch nach der Diakoniekirche Luther. Für den Umbau erhielt die Kirche einen fünfstelligen Betrag von einem Sponsor. Nun wird das Gebäude in absehbarer Zeit aufgegeben. Ist das Sponsorengeld in den Sand gesetzt? Welchen Blick hat die Evangelische Kirche Mannheim auf den Umstand? Wie geht sie damit um? Die Antwort: „Wir sind mit dem Spender nach wie vor regelmäßig in Kontakt. In den zurückliegenden 12 Jahren hat die Diakoniekirche Luther vielen Menschen geholfen und eine geistliche Heimat gegeben. Hier ist so viel Gutes geschehen, das sollte man nicht gering schätzen. Selbst wenn die Kirche aufgegeben werden sollte, bleibt die Dankbarkeit für dieses großartige Engagement, das in anderer Form an anderer Stelle fortgeführt werden soll und das wegweisend für eine weitere Nutzung der Diakoniekirche Luther ist.“

Was bedeutet „selbst wenn die Kirche aufgegeben werden sollte“ genau? Bei der Gemeindeversammlung war eben das der Vorschlag an die Synode: Die Lutherkirche soll aufgegeben werden. Soll, nicht sollte. Weitere Fragen tun sich auf.

Gebäude sind nur Gebäude

Schließlich interessierte uns noch die Stiftung Pflege Schönau. Sie ist zuständig für kirchliche Bauten der badischen Landeskirche. Wir fragten den Dekan, ob die hier erzielten Erlöse angesichts der baulichen Notlage in die Planungen einbezogen würden. Darauf erhielten wir eine Antwort, die den Kern unserer Frage umging. Die Antwort lautete: „Der Stiftungszweck der Stiftung Pflege Schönau bezieht sich auf den Unterhalt konkreter Kirchengebäude in unserer Landeskirche. In Mannheim sind das die Matthäuskirche in Neckarau, die Petruskirche in Wallstadt und die Dreifaltigkeitskirche in Sandhofen. Diese Kirchen sind in einem hervorragenden Zustand, das entlastet uns enorm.“
Dekan Hartmann möchte „auch oder vor allen Dingen“ die gegenwärtigen Vorgänge „als einen geistlichen Prozess begreifen“. Veränderung bedeute immer auch, sich von etwas zu verabschieden, damit etwas Neues beginnen könne. Natürlich identifizierten sich Menschen mit Gebäuden, da habe man seine Geschichte erlebt, verbinde damit eine geistliche Heimat.

„Wenn man das aber als einen geistlichen Prozess ernst nimmt, dann sind eben Gebäude auch nur Gebäude.“


Dieser Artikel erschien zuerst auf der Facebook-Seite des befreundeten Neckarstadt-Blogs. Vielen Dank an Johannes Paesler.

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