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Migrationsbeirat kommt nicht zur Ruhe

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Andrea Chagas López, die Vorsitzende des Mannheimer Migrationsbeirats tritt zurück | Foto: Alexander Kästel

Nach Abwahl, Rücktritt und erneuter Amtsniederlegung steht der Migrationsbeirat zum dritten Mal ohne gewählte Spitze da.

Bei der jüngsten Sitzung des Mannheimer Migrationsbeirats am Dienstagabend hat Dr. Andrea Chagas López ihren Rücktritt vom Vorsitz erklärt. Sie bleibt weiterhin Mitglied des Gremiums. Ihre Entscheidung begründete sie mit der gestiegenen beruflichen Beanspruchung im Forschungsbereich.

„Mir ist dieser Schritt nicht leichtgefallen und ich bedauere es sehr, dieses wichtige Amt abzugeben“, erklärte Chagas López. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Beirat und insbesondere im Vorstand habe sie stets als bereichernd erlebt. Doch die zeitlichen Anforderungen des Ehrenamts ließen sich derzeit nicht mit ihrer beruflichen Verantwortung vereinbaren.

Dritte Veränderung an der Spitze seit Februar

Chagas López ist bereits die dritte Person, die im laufenden Jahr an der Spitze des Migrationsbeirats stand. Nach der Neuberufung des Gremiums im Februar war zunächst Erich Schimmel zum Vorsitzenden gewählt worden. Er legte sein Amt im Mai aus privaten Gründen nieder und schied aus dem Beirat aus. Zuvor war die langjährige Vorsitzende Zahra Alibabanezhad Salem vom Gemeinderat nicht wiederberufen worden – ein Vorgang, der für breite Kritik sorgte und vom üblichen Verfahren abwich.

Vorsitz derzeit kommissarisch besetzt

Mit dem Rücktritt von Chagas López wird der Vorsitz erneut kommissarisch übernommen. Die Aufgaben teilen sich die drei verbleibenden Vorstandsmitglieder Lavdrata Jusufi, Dr. Obi Obata und Sefa Yeter. In einer gemeinsamen Erklärung dankten sie ihrer Kollegin für das Engagement seit ihrer Wahl im Mai: „Ihre Entscheidung bedauern wir, doch sie ist nachvollziehbar und unterstreicht die Verantwortung, mit der die Aufgabe des Vorsitzes verbunden ist.“

Öffentlicher Auftritt auf dem Marktplatz

Dr. Andrea Chagas López war zuletzt am 26. Oktober bei einer Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz öffentlich in Erscheinung getreten. Dort kritisierte sie rassistische Deutungsmuster in der politischen Sprache: „Wenn die Integrationspolitik die Arbeit gemacht hätte, die wir gebraucht hätten, nämlich tatsächlich alle Menschen zu integrieren in der Gesellschaft, dass wir Teil der Gesellschaft sind, hätten wir dieses Problem der Rassifizierung nicht.“

Beratung und Interessenvertretung seit 2000

Der Migrationsbeirat der Stadt Mannheim wurde im Jahr 2000 eingerichtet und ist die offizielle Interessenvertretung der Mannheimer*innen mit Migrationsbiografie. Das Gremium berät Politik und Verwaltung in Fragen der Migration und Integration und wirkt mit Rede-, Anhörungs- und Antragsrecht in Gemeinderat und Ausschüssen mit.

Quelle: Pressemitteilung des Migrationsbeirat, eigene Recherche

Kommentar:

Kein Ehrenamt wie jedes andere

Zweimal innerhalb eines Jahres verliert der Migrationsbeirat der Stadt Mannheim eine junge, gut ausgebildete Frau an seiner Spitze. Nach Zahra Alibabanezhad Salem im Frühjahr nun auch Dr. Andrea Chagas López. Beide stehen für klare Worte, fundierte Rassismuskritik – und für eine Perspektive, die in politischen Gremien oft fehlt.

Alibabanezhad Salem wurde erst im Februar vom Gemeinderat abgewählt – durch ein Verfahren, das vom bisherigen Konsens abwich und den Einfluss der bürgerlich-rechten Ratsmehrheit sichtbar machte. Bei Chagas López war es nun ein freiwilliger Rückzug. Doch ihre Begründung – berufliche Prioritäten – lässt sich nicht losgelöst vom politischen Klima betrachten, in dem dieses Ehrenamt ausgeübt wird.

Wer den Vorsitz des Migrationsbeirats übernimmt, bekommt es nicht mit Verwaltungsroutine zu tun. Sondern mit hitzigen Debatten über Stadtbild und Zugehörigkeit, mit offener Ausgrenzung, oft auch mit subtilen Widerständen. Der gesellschaftliche Rechtsruck ist längst in Mannheim angekommen. Für Menschen mit Migrationsgeschichte, die sich politisch einmischen, bedeutet das: Sie stehen zunehmend unter Rechtfertigungsdruck.

Der Migrationsbeirat soll Brücke sein – zwischen Verwaltung, Gemeinderat und der Stadtgesellschaft. Doch Brücken tragen nur, wenn sie stabil gebaut sind. Dazu braucht es nicht nur Sachverstand, sondern emotionale und zeitliche Ressourcen. Das Amt ist ehrenamtlich. Aber es verlangt vollen Einsatz. Und dieser lässt sich kaum nebenher leisten – weder neben einer akademischen Karriere, noch neben Familie, Beruf oder Selbstfürsorge.

Es ist zu hoffen, dass sich erneut jemand findet, der oder die sich dieser Verantwortung stellt. Und ebenso, dass Politik und Verwaltung erkennen, welche strukturelle Absicherung ein solches Ehrenamt eigentlich bräuchte, wenn es mehr sein soll als symbolische Teilhabe.