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Nachbarschaft

Nostalgie ist kein Argument

Die Lesung der Journalistin und Autorin Alice Hasters im Capitol zeigte, warum man beim Thema Rassismus um die Debatte über die Sarotti-Reklame nicht herumkommt.

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Ein Donnerstagabend Anfang März im Casino des Capitols, eine halbe Stunde vor Beginn. Alice Hasters sitzt schon auf ihrem Platz in der Mitte des langgezogenen Raums, gegenüber der Theke. Die 31-jährige Kölnerin ist heute Abend hier, um aus ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ zu lesen. Dass sie sich in einem Haus befindet, das seit eineinhalb Jahren im Zentrum einer regen Debatte über Rassismus steht, erfuhr sie erst kurz vor der Lesung. „Ich hatte das Glück, dass mir vorher Leute gesagt haben, was das hier überhaupt für ein Raum ist – denn das wusste ich nicht – und welcher Streit hier stattfindet“, erzählt Hasters gleich zu Beginn der Veranstaltung. Die Sarotti-Leuchtreklame, um die sich die Mannheimer Rassismus-Debatte entzündet hat, hängt im Foyer nebenan.

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Aus den Augen, aus dem Sinn? Mit einer nach eigenen Angaben künstlerischen Auseinandersetzung möchte das Capitol das Thema Rassismus bzw. das Gespräch darüber am Leben halten und setzt sich damit seit anderthalb Jahren über die unmissverständlichen Forderungen und Empfehlungen Schwarzer Interessensverbände und von Betroffenen hinweg | Foto: Christian Ratz

Alice Hasters ist Journalistin und arbeitet für die Tagesschau und den RBB, hat auch schon in der ZEIT veröffentlicht. Einmal im Monat erscheint der Podcast „Feuer & Brot“, in dem sie mit Maxi Häcke über Feminismus und Popkultur spricht. Das Thema Rassismus hat sich unwillkürlich in ihre Arbeit eingeschlichen. Als Tochter eines Schwarzen und eines weißen Elternteils kann sich Alice Hasters dem Thema kaum entziehen. Sie wird von außen als Schwarz wahrgenommen und ist in ihrem Alltag unentwegt rassistischen Situationen ausgesetzt.

„Bei meiner journalistischen Arbeit habe ich nicht angefangen mit dem Gedanken ‘Ich werde einen journalistischen Schwerpunkt zum Thema Rassismus haben’. Ich wollte eigentlich Kulturjournalismus machen und Theaterrezensionen schreiben.“
– Alice Hasters

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Alice Hasters’ Buch richtet sich in erster Linie an Weiße, gibt Schwarzen Menschen aber ein klar verständliche Stimme | Foto: Christian Ratz

„Mikroagressionen“ nennt man die vielen kleinen schmerzhaften „Mückenstiche“, die BiPoC (Black and Indiginous People of Colour) Tag für Tag hinnehmen müssen. Dabei müssen die Verursacher*innen nicht unbedingt eine bewusste Abwertung im Sinn haben. Auch gut gemeinte Nachfragen, koloniale Überbleibsel in der Sprache und unterbewusste Reaktionen schmerzen Betroffene. Wenn etwa ältere Damen in der Bahn ihre Handtasche fester umklammern, sobald Alice Hasters sich neben sie setzt. Oder wenn sie zum x-ten Mal gefragt wird, ob sie mit ihrem dunklen Teint eigentlich Sonnenbrand bekommen kann. Oder wenn in der hippen, neuen Kaffeebar in Köln-Nippes eine Trinkgeld-Spardose steht, die einen schwarzen Mann darstellt, der die Münzen verschluckt. Derartige Dosen, sogenannte „Jolly N*ger Banks“, wurden in den USA während der Jim-Crow-Ära (i) hergestellt und referenzieren damals übliche rassistische Vorurteile. Solche Darstellungen finden sich auch in der deutschen Kolonialgeschichte zuhauf und halten sich hartnäckig. Wie der Sarotti-M. auf der Leuchtreklame. Und was für die Café-Verkäuferin ein amüsanter Flohmarktfund ist oder für weiße Mannheimer*innen eine nostalgische Erinnerung an Schokolade bei Oma, ist dennoch Rassismus.

Warum „Schwarz“ und was sind BiPoC?

Bei den Bezeichnungen „Schwarz“ und „weiß“ geht es eigentlich nicht um die Farbe. „Schwarz“ und „weiß“ beschreiben keine „biologischen Tatsachen“, sondern Gesellschaftskonstrukte; sie benennen die verschiedenen Hintergründe, Sozialisationen und Lebensrealitäten. „Schwarz“ ist analog zu engl. „Black“ die Selbstbezeichnung vieler schwarzer Deutscher. Weil es nicht die Farbe meint, wird es groß geschrieben. „Afro-deutsch“ ist ebenso verbreitet.

BiPoC ist die Abkürzung für Black and Indiginous People of Colour. Es ist ein Fachbegriff, der alle „nicht-weißen“ Menschen umfassen soll.

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Moderatorin Tala Al-Deen (l.) und Autorin Alica Hasters | Foto: Christian Ratz

Als die Veranstaltung um 19 Uhr beginnt, ist der Raum brechend voll. Vorweg einleitende Worte von Tala Al-Deen, Ensemble-Schauspielerin am Nationaltheater und Moderatorin des heutigen Abends, die von ihrem Anruf bei Alice Hasters wenige Tage zuvor erzählt. Gemeinsam haben die beiden in diesem Telefonat entschieden, vom klassischen Format einer Lesung abzuweichen und sich stattdessen auf die Mannheimer Rassismus-Debatte zu beziehen. Als sie im Anschluss noch einige Gedanken vorliest, die sie in Vorbereitung auf diesen Abend niedergeschrieben hat, erhält Al-Deen vehementen Applaus.

„Eine kolonialrassistische Leuchtreklame tötet niemanden. Aber sie zu entfernen – tut es auch nicht.“
– Tala Al-Deen

Auch Alice Hasters positioniert sich gleich eingangs zu der Sarotti-Debatte und zur Situation, in der sie selbst sich findet, in diesen Raum eingeladen zu sein. Mit ruhigen klaren Worten bezieht sie Stellung und sagt, sie wolle „nicht als Feigenblatt dienen“, hinter dem man den Stein des Anstoßes verbirgt. Keine Alibiveranstaltung ohne Konsequenz à la „man redet kurz drüber, und dann bleibt trotzdem alles wie vorher.“ Dann liest sie aus ihrem Buch eine kurze Passage über die bereits oben erwähnte rassistische Spardose der Café-Besitzerin und die Frage, ob man in so einer Situation höflich lächeln kann oder diesen weiteren „Mückenstich“ ansprechen soll. Alice Hasters hat sich fürs Ansprechen entschieden – in der beschriebenen Situation und in vielen weiteren, so auch an diesem Abend.

„Das Wort ‘Rassismus’ wirkt wie eine Gießkanne voller Scham, ausgekippt über die Benannten. Weil die Scham so groß ist, geht es im Anschluss selten um den Rassismus an sich, sondern darum, dass ich jemandem Rassismus unterstelle.“
– Alice Hasters in ihrem Buch

Mit Tala Al-Deen spricht die Autorin über die Definition von Rassismus, darüber wie rassistische Vorstellungen und Wahrnehmungsmuster in unserer Kultur transportiert werden, sich von Kindheit an in unseren Köpfen festsetzen und welche Rolle dabei Objekte wie die Sarotti-Leuchtreklame spielen.

Danach hat das Publikum die Gelegenheit sich zu äußern und Fragen zu stellen. Der erste Beitrag kommt von einer der Verfasser*innen des offenen Briefs im Mai 2019, die sich nochmals vehement dafür ausspricht, dass die Reklame abgenommen wird. Dieser Haltung schließen sich die weiteren Diskutant*innen aus dem Publikum an.
Nur einer der Redner*innen spricht sich für den Plan des Capitols aus, die Reklame als Mahnmal „gegen das Vergessen“ an Ort und Stelle zu lassen. Das sei doch gerade wichtig, wenn heutzutage so wenig Wissen über die deutsche Kolonialgeschichte bestehe. Alice Hasters antwortet freundlich aber bestimmt, dass die Reklame durchaus so eine Funktion erfüllen könne, eingebettet in einen Kontext des Erinnerns in einem Museum oder ähnlichen Institutionen. Aber nicht in einer Bar, in der Menschen in entspannter Atmosphäre zusammenkommen wollen um etwas zu trinken oder einer Kulturveranstaltung beizuwohnen.

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Thorsten Riehle, der Geschäftsführer des Capitols, ist kurz nach Beginn der Veranstaltung verschwunden. Er führt die Sarotti-Debatte stattdessen über die Medien sowie eine Unterseite der Capitol-Webseite, auf der er sich auch zum offenen Brief und zur aktuellen Gestaltung, d.h. der Verhüllung der Reklame, äußert. Auch die Lesung von Alice Hasters wurde auf dieser Webseite angekündigt. Sie ist Teil der Aktionstage „Kein Platz für Rassismus“, die letztes Jahr in Reaktion auf die Sarotti-Debatte ins Leben gerufen wurden. Es ist bedauernswert, dass die Veranstaltung im Rahmen der Aktionstage nicht von Vertretern des Hauses begleitet wird. Einige einleitende Worte und eine Stellungsnahme zur Diskussion könnten zeigen, dass das Capitol die Sarotti-Reklame tatsächlich zum Anlass für weitere Auseinandersetzung mit Rassismus nimmt, sich Kritikern stellt und für die eigene Haltung in der Sarotti-Debatte einsteht.

Solche Auseinandersetzungen sind schwierig und anstrengend. Doch das sind sie auch für die persönlich Betroffenen, die sich dem nicht entziehen können.

„Wir sind die ersten, die gerne wünschen, dass es anders wäre. Wir machen das nicht, weil wir nichts anderes zu tun haben oder weil wir unser Leben nicht gerne mit etwas anderem füllen würden. Ich wüsste gerne, wie sich das anfühlt, wenn ich so frei wäre, mich nicht permanent mit meiner Identität auseinanderzusetzen.“
– Alice Hasters

Unter den Sprecher*innen aus dem Publikum sind viele BiPoC, die von ihren eigenen Diskriminierungserfahrungen berichten und sich bei Alice Hasters dafür bedanken, dass sie diese Erfahrungen benennt und sichtbar macht.

Einer junge Frau kommen die Tränen, während sie spricht. Rassismus ist schmerzhaft und es ist der überwältigende Konsens an diesem Abend, dass die Verletzungen, die durch rassistische Symbole verursacht werden, mehr wiegen sollten als Nostalgie. Was das Capitol mit einer solchen, im Rahmen seiner Aktionstage geäußerten, übereinstimmenden Meinung macht, wird sich zeigen.


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Alice Hasters
„Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen
aber wissen sollten“

208 Seiten
Verlag: hanserblau
ISBN : 978-3-446-26425-0


Offener Brief vom 22.05.2019 zu Causa Sarotti an das Capitol Mannheim

Offener Brief an die Geschäftsführung des Capitol Mannheim, interessierte Kommunalpolitiker*innen der Rhein-Neckar-Region, lokale Verbände und Vereine
interessierte Medienvertreter*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen

Verantwortung übernehmen für kolonialrassistische Präsenz in der Öffentlichkeit – Wir fordern die Abhängung des „Sarotti-M.“ im Mannheimer Capitol!

Die Unterzeichner*innen dieses offenen Briefes fordern sowohl die Capitol Geschäftsführung als auch die Stadtspitze und Mandatsträger*innen dazu auf, die deutsche Kolonialgeschichte, die auch in Mannheim ihre Spuren hinterlassen hat, und den damit verbundenen Rassismus, der sich in öffentlichen Institutionen wiederfindet, mit der gebotenen Sensibilität aufzuarbeiten und die notwendigen politischen Maßnahmen zu treffen. Insbesondere fordern wir, dass Abbildungen, die kolonialrassistische Symbole darstellen, aus öffentlich zugänglichen Bereichen entfernt werden. Auch private Kultureinrichtungen sind in der Verantwortung, für eine rassismusfreie Gesellschaft einzustehen. Zu begründen ist zwar, dass anlässlich der Causa „Sarotti-M.“ in Mannheim erstmals eine kritische Auseinandersetzung stattgefunden hat, allerdings belegt insbesondere die Vorgehensweise der Capitol-Gesch.ftsführung die Notwendigkeit um einen Diskurs über strukturellen Rassismus.

Dass der „Sarotti-M.“ in einer möglicherweise karnevalesk verzerrten Version im Capitol hängenbleiben soll, dokumentiert den mangelnden politischen Willen einer Kulturinstitution sich mit der städtischen Realität Mannheims, in der über 40 Prozent der Bevölkerung eine Migrationserfahrung hat, adäquat auseinanderzusetzen. Wir fordern daher die Kulturschaffenden und Kulturpolitiker*innen der Stadt auf, die Perspektiven von Deutschen mit Migrationsgeschichte, Menschen of Colour, Schwarze Menschen und Menschen mit Fluchterfahrungen nicht zu verzerren, unsichtbar zu machen oder zu instrumentalisieren. Denn dies belastet sowohl das Verhältnis zu einem großen Teil der Stadtgesellschaft wie es auch den Glauben an die gelebte Pluralität einer Einwanderungsstadt, in der wir alle gemeinsamen Fortschritte machen wollen, trübt.
Festzuhalten ist, dass der Capitol-Geschäftsführer Thorsten Riehle trotz anfänglicher Behauptungen, das Thema Rassismus ernst zu nehmen und den Prozess transparent aufarbeiten zu wollen, sowohl methodisch als auch inhaltlich kontraproduktiv gehandelt hat. Hinweise, Anregungen, Kritik von Aktivist*innen of Colour und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, wie etwa des Vorstandssprecher Tahir Della, wurden ignoriert.

Ausgewiesene wissenschaftliche Expert*innen wurden erst im Nachgang und auf Druck von Ruhan Karakul (Mitglied im von der Capitol-Geschäftsführung einberufenen Beratergremium) angefragt.

Eine Einbeziehung des Antidiskriminierungsbüros Mannheims erfolgte lediglich im Rahmen der Einberufung des Runden Tisches und auf die abschließende Sitzung wurde das ADB zu kurzfristig eingeladen. Zu keinem Zeitpunkt war eine deutliche Positionierung des Capitol-Geschäftsführers zu erkennen. Auf den konkreten Veranstaltungen wurden die Vortragenden Jennifer Yeboah (Sozialarbeiterin, Quartiersmanagement Neckarstadt) und Dr. Halua Pinto de Magalhães (Wissenschaftler, Uni Heidelberg) trotz ihrer deutlich formulierten beruflichen, politischen und wissenschaftlichen Expertise zu den Themen Kolonialismus, Rassismus und Migration wiederholt auf eine „Betroffenen Perspektive“ reduziert (siehe Bericht in der Rheinpfalz und TV-Beitrag RNF). Im Gegensatz dazu wurde der Position von Prof. Dr. Ulrich Nieß, der zwar der Leiter des Mannheimer Stadtarchivs (MARCHIVUM) ist, aber keine wissenschaftliche Expertise auf dem Gebiet Kolonialgeschichte hat, im Rahmen der Entscheidungsfindung eine gewichtige Rolle gegeben. Seine am 19. Februar 2019 im Capitol präsentierten Thesen blendeten nicht nur die historische und gesellschaftliche Verantwortung Europas gegenüber globalen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen aus, sondern delegitimierten antirassistisches Wissen und Wirken. Dass der Leiter des städtischen Archivs in dieser Hinsicht kritikwürdige Ansichten auf öffentlichen Veranstaltungen vertritt, mithin dem in Aufschwung befindlichen Rechtspopulismus einen Nährboden liefert, ist höchst bedenklich und zeigt die Notwendigkeit der Schulungen für das Personal städtischer Einrichtungen. Die Bekämpfung von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mannheim ist eine Stadt, die sich der Vielfalt und Offenheit verschrieben hat. Daher appellieren wir an die Capitol-Geschäftsführung, diesem Anspruch gerecht zu werden, ihre fehlerhafte Entscheidung rückgängig zu machen und die Werbeanlage mit dem Sarotti-M. sofort abzuhängen.

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Hat jahrelang in der Neckarstadt gewohnt, studiert, gejobbt sowie gegärtnert und kümmerte sich beim Neckarstadtblog hauptsächlich um Kulturthemen und Termine. Trotz ihres Umzugs nach Brandenburg übernimmt sie weiterhin redaktionelle Aufgaben.

1 Kommentar zu “Nostalgie ist kein Argument

  1. Aus gegebenem Anlass: Wir werden rassistische und/oder beleidigende Kommentare o.ä. nicht freischalten.

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